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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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einen Schluck von seinem Drink – ein doppelter, in einem Glas von der Größe eines Zinnkrugs, denn Tierwater wollte kein Risiko eingehen: mach ihn besoffen und mal sehen, ob er sich in die Karten gucken läßt. In der Stille, die dieser letzten Beichte folgte, ließ Quinn dann seine Bombe fallen: »Und, wie läuft das Buch so?«
    (Um ein Haar hätte ich zurückgefragt: Was für ein Buch? Immerhin war ich auch nicht mehr nüchtern, aber Panik wirkt Wunder fürs Denkvermögen, besser als jeder Neurobooster, und ich mußte nur kurz über die Antwort nachdenken. Und die hieß: »Prima.« Es handelte sich natürlich um unsere Tarnung – ich war ein aufstrebender Schriftsteller und arbeitete an meinem ersten Buch, ich war mit meiner Frau Dee Dee und meiner Tochter Sarah in die Berge gezogen, weil ich in der Hütte unseres alten Freundes Ratchiss genügend Ruhe und Frieden zum Schreiben fand.)
    »Na, das freut mich zu hören«, sagte Quinn und stellte sein Glas auf dem Tischchen ab. »Ich weiß nicht, wie Leute wie Sie das anstellen – schreiben, meine ich –, das ist mir einfach unbegreiflich. Wenn mich einer fragt, ob ich was schreibe, sag ich immer: sicher doch – Schecks.« Darüber lachte er herzlich, keuchte und hustete, dann nahm er zur Stärkung einen Schluck von Tierwaters Scotch. Eigentlich von Ratchiss’ Scotch. »Ein Roman, stimmt’s?« fragte er, legte den Kopf schief und hob schulmeisterlich den Zeigefinger. »Alles frei erfunden oder Tatsachengeschichte?«
    »Ich, äh, also, ich bin noch ziemlich am Anfang...« Tierwater griff nach seinem eigenen Glas und nahm einen tiefen Zug.
    Quinn beugte sich wißbegierig vor. »Aber erzählen Sie doch mal, wenn’s kein Geheimnis ist – worum geht es dabei?«
    Pause. Tierwater sprach erneut seinem Drink zu. Hunderte von Handlungen, Themen, Szenarien ballten sich in seinem Kopf. Er hörte jede einzelne Flamme im Kamin, wie sie an jedem Molekül der gespaltenen und gutgetrockneten Holzscheite leckte, Materie in Energie verwandelte, die Welt vernichtete. »Um Eskimos«, sagte er schließlich.
    »Eskimos?«
    Tierwater sah in das blutleere Gesicht. Er nickte.
    Quinn saß eine Minute lang stocksteif da. Die ganze Zeit war er in Bewegung gewesen, hatte herumgeschnüffelt und gestöbert und kontrolliert, war in seinem Sessel hin- und hergewippt, als wäre er an einen Transformator angeschlossen, und nun auf einmal saß er völlig still da. »Na, also, das ist ja ein Ding«, sagte er endlich und stieß einen leisen Pfiff aus. »Oder etwa nicht?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich meine, daß heute Ihr Glückstag ist, Tom. – Sie haben einen Mann vor sich, der zwei Jahre lang in Tingmiarmiut unter den Inuit gelebt hat – das war damals, als ich für British Petroleum tätig war. Sind Sie auch so lange da oben gewesen?« Unvermittelt klatschte er sich aufs Knie und stieß einen gepreßten Schrei aus. »Meine Güte, ich wette, wir zwei beiden haben da sogar gemeinsame Bekannte...«
    Die Rettung naht in vielerlei Form. Diesmal kam sie in der von Sierra. Die Tür ihres Zimmers flog krachend auf, und das gesamte Haus war plötzlich in das Weltschmerzgewummer von Drum and Bass und das Heulen einer einzelnen selbstmörderischen Gitarre getaucht, die wie in einer Echokammer widerhallte. Gekleidet war sie in schwarze Jeans mit abgeschabten Knien, hochhackigen Stiefeln und einer so kleinen schwarzglänzenden Bluse, daß sie aus einer Babygarderobe hätte stammen können. Bis auf den schwarzen Lippenstift hätte sie als junge viktorianische Witwe durchgehen können, die um ihren Mann, den verstorbenen Großindustriellen, trauerte. »Dad«, sagte sie, »hast du meine Kaugummis gesehen – weißt doch, die Tüte mit Plenti-Paks, die wir neulich unten im Laden gekauft haben?«
    Der Raum vibrierte. Er erzitterte. Sierra war schon halb beim Kamin, als sie Quinn bemerkte, der in Tarnkleidung und mit bemaltem Gesicht auf dem Sessel kauerte. »Oh, huch«, sagte sie und hielt abrupt inne, »ich wußte nicht, daß wir Besuch haben.« Sie schenkte dem Versicherungsdetektiv einen Blick und ein zaghaftes Lächeln. »Ihr zwei geht wohl noch auf ein Kostümfest oder so?«
    Andrea verteilte den ganzen Sommer hindurch – in einer Perücke, die sie aussehen ließ wie das Kind der Liebe von Barbara Bush – rote Baskenmützen, verkaufte T-Shirts mit dem E.F.!-Logo drauf, der geballten schwarzen Faust, und führte Buchhaltungsabsolventinnen, angehenden Dichtern und Medizinstudenten vor, wie man

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