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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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erkannte er die Gestalt in der Tür gar nicht. Das matte gelbe Lampenlicht erhellte sie kaum, und hinter ihr dräute die lauernde, eulendurchhuschte Nacht der Wildnis, eine Dunkelheit und Massivität wie eine heruntergelassene Jalousie, und der Mann auf seiner Schwelle war wie ein Teil dieses Gefüges. »Tom – meine Güte, wollte Sie nicht erschrecken... Erkennen Sie mich nicht wieder?«
    Schon war der Mann im Zimmer, ungebeten, und seine nörglige, belegte Keuchhustenstimme verriet ihn, viel eher als das knochenlose Gesicht und die spülwasserfarbenen Augen. Es war Declan Quinn, der Versicherungsdetektiv, alle fünfundfünfzig ausgebleichten und alkoholgetränkten Kilo von ihm, und Tierwater sah, warum er ihn nicht sofort erkannt hatte: Quinn trug eine Art Tarnkleidung, khakibraun und zwei verschiedene Grüntöne, und sein Gesicht war mit einer mattglänzenden öligen Farbschicht in dazu passenden Farben eingeschmiert. Das war Fettschminke, wie sie auch Tierwater bei seinen mitternächtlichen Missionen verwendete.
    »Meine Güte, Tom«, wiederholte er, und wie er das aussprach, kennzeichnete ihn klar als Einwanderer, wenn auch bereits seit längerem im Land, und wieso war Tierwater das vorher nie aufgefallen? »Sehen ja aus, als würde Sie der Teufel persönlich holen kommen.« Und dann stieß er ein Lachen aus, ein schnelles scharfes Gebell, das als trockener Husten verklang. »Es ist meine Aufmachung, was? Hatte ich ganz vergessen – aber ich störe doch nicht, oder?«
    »O nein, nein, ich war nur gerade...« Tierwater sah sein Spiegelbild in dem verdunkelten Fenster und erblickte ein gewaltiges Monument der Schuldgefühle, eingefallene Augen, gesenkte Schultern, herunterhängendes Kinn. Er war in einem schwachen Augenblick erwischt, überrascht worden, und obwohl er normalerweise nicht auf den Mund gefallen war und, falls nötig, auch bereit, seine Rolle auf einer Bühne und vor Publikum zu spielen, wünschte er sich, Andrea wäre hier. Zur Unterstützung. Als Ablenkung. Dieser Typ war Detektiv, ein Ermittler, und was wollte der in Tierwaters Wohnzimmer, wenn er nicht wegen Tierwater selbst gekommen war?
    Quinn lachte wieder. »Hab die Bemalung völlig vergessen. Sehen Sie, ich bin die letzten drei Tage rund um Ihre Hütte zugange, keine hundert Meter von hier, auf der Jagd nach einer Bärin mit zwei Jungen. Sie hat ihr Lager jetzt verlassen, aber es ist dahinten, gleich bei Ihnen, so nahe, daß Sie es gar nicht glauben würden – aber meine Herren, da haben Sie ja ein paar erstaunliche Schädel hier!« Er zeigte auf den Kongoni. »Wo ist das her, aus Afrika? Oder Indien? Ein Gabelbock ist es jedenfalls nicht, das seh ich.«
    »Der dürfte aus Afrika sein«, sagte Tierwater, dem die Wendung rund um Ihre Hütte zugange im Kopf haftete wie Kalk in einer Arterie, »soweit ich weiß, ist Ratchiss nur dort jagen gegangen...«
    »Ach ja, Philip. Ein Prachtkerl, wirklich. Der große weiße Jäger. Gibt nicht mehr viele von seinem Kaliber auf der Welt, oder? Guter Mann, keine Frage. Und der Löwe da, ist ja unglaublich! Wirklich beeindruckend. Das ist der wahre Jakob, was?«
    »War mal der Menschenfresser der Luangwa«, sagte Tierwater und verlagerte das Gewicht auf sein gesundes Bein.
    »O ja, sehr beeindruckend.« Quinn wandte Tierwater jetzt den Rücken zu und starrte zu dem Löwenkopf empor. »Hab früher eine Bärin gehabt«, sagte er, »lange nicht so beeindruckend wie der da natürlich, aber ich hatte ihr das Ding persönlich verpaßt, wenn Sie verstehen, was ich meine, deshalb hab ich so an ihr gehangen. Der Präparator stellte sie liegend dar – sah aus wie ein Riesenspaniel –, war auch in Ordnung so, obwohl ich sie lieber stehend gehabt hätte. Mavis, meine erste Frau, fand sie leider entsetzlich, was sehr traurig war. Sie hat sie zum Sperrmüll getan, als ich mal nach Tulare mußte wegen einer Brandstiftung dort.« Er seufzte und schwang sich auf der Achse eines knochigen Beins herum. »Aber wie ich sehe, genehmigen Sie sich gerade einen Drink, und ich wollte fragen...? Ich hätte nämlich selbst gern einen. Scotch mit einem Spritzer Wasser, wenn’s keine Umstände bereitet. Und falls Sie Dewar’s da hätten, wäre das eine Wucht.«
    Diesen Film hatte Tierwater auch schon gesehen, hundertmal – der sich in Sicherheit wiegende Verbrecher und der unauffällige Polizist –, trotzdem spielte er mit, so gefangen in seiner Rolle, dieser neuen Rolle, für die er nie vorgesprochen hatte, als hätte er ein

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