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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Presseinterviews zu geben, die ihr Kreuzzug mit sich bringen würde. Heute aber, am ersten Morgen ihres Daseins als Baumlebewesen, als Kuriosität der Evolution, ein fortpflanzungsreifes Homosapiens-Weibchen, dessen Füße niemals den Erdboden berührten und dessen biologischer Imperativ warten mußte, brauchte sie gar nichts. Bis auf einen Gefallen. »Tust du mir einen Gefallen?« rief die verschwommene weiße Fahne ihres Gesichts.
    »Ja doch«, schrie ich, wobei ich mir den Nacken massierte und ein Stück zurücktrat, um aus einem weniger schmerzhaften Winkel hinaufzustarren. »Sicher. Was du willst!«
    »Nimm die hier mit«, rief sie, und plötzlich segelten zwei Objekte, oval, hellgrau mit weißen Streifen, aus dem Baum herab. Ich brauchte eine Weile, um sie zu identifizieren, auch als sie nacheinander einen halben Meter von mir entfernt auf dem Waldboden gelandet waren. Dumpf schlug das erste der Dinger auf, dann das zweite, der Aufprall hatte etwas Endgültiges. Es waren ihre Schuhe. Ihre Laufschuhe, Wanderschuhe, Schuhe zum Gehen, Atmen und Leben, ihre Verbindung mit der Erde. Aber an jenem ersten Morgen warf sie sie zu mir herunter, denn sie brauchte sie nicht, brauchte sie nie mehr.
    Eier. So ein schlichtes Nahrungsmittel, von der Sorte, wie wir sie für selbstverständlich hielten, die Hauptstütze jeder Frühstücksklitsche in jeder Stadt Amerikas, als Rührei, weichgekocht oder als Spiegelei mit saftigen Fritten dazu. Ich bin mit Eiern aufgewachsen, damals bevor uns klar wurde, was sie in den Arterien anrichten, und auch meine Tochter ist mit ihnen aufgewachsen, weil sie einfach irgendwie Eiweiß zu sich nehmen mußte. Aber wie gesagt, chez Pulchris waren die Eier während der Belagerung knapp geworden. Nachdem wir alle eingezogen waren, hatte die Köchin – sie heißt übrigens Fatima und ihr Mann Zulfikar – eine Woche lang Omeletts und frisch gebackenes Brot serviert, dann aber gingen die Eier aus, und seitdem hatte es nur noch Fleisch, Reis und Gemüse aus der Dose gegeben. Der größere der beiden Als schaffte es am Anfang ein- oder zweimal über den Pulchris River, aber die Supermärkte waren bis auf die nackten Regalbretter leergekauft – nichts übrig außer Maisstärkepulver und eingelegten roten Rüben –, und bald danach konnte nicht einmal mehr der Olfputt die Fluten durchqueren, also blieben wir, wo wir waren, und kamen mit dem aus, was wir hatten. Deshalb freue ich mich auf einen Teller mit gebratenen Eiern, auch wenn ich sie mit Chapati statt mit Toast aufstippen muß, und ich streife die Stiefel an der Türschwelle ab, wasche mich und ziehe ein frisches Hemd und die schwarzgoldene Tourneejacke aus Satin an, die mir Mac geschenkt hat, als ich vor einem Monat keine Sachen mehr im Schrank hatte. Die Sonne flutet durch die Fenster, und ich bin tatsächlich am Pfeifen – Ride your pony, Ride your pony –, während ich in den Spiegel schaue und mir etwas von Macs Aftershave zu dreihundert Dollar die Flasche ins Gesicht klatsche.
    Im dritten Stock, im Gangsta Rap Room, wie sich herausstellt, versammeln wir uns zu einem formellen Brunch – Mac hat etwas anzukündigen. Als Andrea und ich in den Fahrstuhl steigen, ihr Arm ruht wohlig in der Beuge meines Ellenbogens, kann ich mir schon vorstellen, was er sagen will: er setzt sich ab. Fährt den Sommer über nach Norden – Fairbanks, Winnipeg, vielleicht in eines der großen Urlaubszentren auf Hokkaid¯o. Er wird in einen Hubschrauber steigen, Al & Al wird er mitnehmen (gerade noch rechtzeitig für den kleineren, der gut zwölf Kilo Schwabbelbauch zugelegt hat, seit es zu regnen anfing). Das ist in Ordnung so. Macht mir nichts aus. Solange ich seine Zusage für den Neubau habe, kann er von mir aus auf der Rückseite des Mondes sein, nicht daß ich seine Gesellschaft nicht genieße, bitte keine Mißverständnisse, aber Mac wird immer Mac bleiben, und das heißt ein alter Globetrotter. Das heißt Exzeß. Das heißt Mac in Edinburgh oder Reykjavík, über die Spieltische gebeugt oder als galanter Begleiter irgendeines Starlets durch die gepflegten Freßlokale, wo sie einem Thunfisch oder zwanzig Jahre alten Seeteufel zu dreitausend Dollar den Teller auftischen. Ich bin daran gewöhnt.
    Auf jeden Fall fühle ich mich gut, als wir durch die Tür in den Speisesaal walzen, bei Sonnenschein, Eier auf der Speisekarte und einer rosigen Zukunft in Aussicht. Der Tisch ist für sechs gedeckt (Chuy ist bei den Mahlzeiten nie dabei, obwohl Mac, da bin ich

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