Ein Freund der Erde
Brille lief an, sobald ich sie aufsetzte. Globale Erwärmung. Ich erinnere mich noch, wie damals nicht nur über ihre Ursachen, sondern über die Konsequenzen spekuliert wurde. Vordergründig gesehen, klang es gar nicht so übel, für jemanden aus Winnipeg, Grand Forks oder den Sachalin-Inseln jedenfalls. Treibhauseffekt, so nannte man das. Und sind Treibhäuser nicht angenehme, warme, nährende Orte, in denen man im tiefsten Winter Sagopalmen und Hydrotomaten züchten kann? Aber so ist es nicht. Nein, eher so, als ließe man seinen Wagen mit geschlossenen Fenstern tagsüber in der Sonne stehen, und wenn man wieder rein will, merkt man, daß sowohl die Fenster als auch die Türen von den Gummidichtungen zugeschweißt sind. Je heißer, desto mehr Verdunstung, und je mehr verdunstet, desto heißer wird es, denn das wichtigste Treibhausgas ist bei weitem der Wasserdampf. So ist es, und deshalb wird es in den nächsten sechs Monaten so heiß werden, daß der Pulchris River verdunsten und sich in den Himmel zurückziehen wird wie ein Geist mit langem Flatterschleier, und der ganze Schlamm hier wird hart wie Beton gebacken werden. Globale Erwärmung. Sie ist eine Tatsache.
Doch im Moment schwebt meine Laune himmelwärts: ich bin hier, ich bin am Leben, und die Sonne scheint. Der Lenz ist da, und in meinem Kopf schwirrt es vor lauter Plänen. Ich habe noch nicht mal gefrühstückt oder mich auf dem Klo gequält, und schon schreite ich die Umrisse des neuen Löwengeheges auf einem prachtvollen Stück höher gelegenen Landes ab, gut ein Viertelhektar ockerfarbener Matsch voller Teufelsgras zwischen der Garage und dem Pavillon. Die Löwen leiden am meisten – das Fell geht ihnen aus, sogar zum Husten sind sie zu depressiv, geschweige denn daß sie brüllen, und Buttercup scheint die meisten ihrer Reißzähne verloren zu haben, was das Kauen der nur teilweise aufgetauten Rippenstücke zu einer echten Strapaze macht –, deshalb bin ich fest entschlossen, sie als erste zu versorgen. Außerdem sind sie die gefährlichsten unserer Mitbewohner (mit Ausnahme von Andrea vielleicht, aber was beklag ich mich?), und obwohl wir die Türen verbarrikadiert und alle nur erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen haben, stelle ich mir nur unter Schaudern vor, was passieren würde, wenn einer sich befreien könnte.
So ist das also: die Sonne steht hoch oben am Himmel, und ich bin hier unten und denke über Löwen nach, der Wind aus Südosten trägt einen Hauch heran, der, wenn nicht nach Erlösung, so doch nach Erneuerung duftet – ist nicht auch bald Ostern? –, da höre ich Andrea meinen Namen rufen. Das ist an sich bereits bemerkenswert, denn bis Mittag haben wir noch volle vier Stunden und so früh ist sie noch nie aufgestanden, seitdem sie sich im November erneut in mein verpfuschtes Leben eingebaut hat. Sie trägt ein weißes, fließendes Kleid, tief ausgeschnitten, und ein halbes Dutzend Ketten mit bunten Perlen, was einen an die Hippiezeiten zurückdenken läßt, sie hebt den Saum des Kleides, um es vor dem Schlamm zu schützen, und bewegt sich in ihren Gummistiefeln mit einer Leichtigkeit und Grazie, wie man sie von einer alten Dame nicht erwarten würde. Ich sehe ihr zu, wie sie vorsichtig auf mich zustapft, und ich weiß, daß ich eine ziemlich ergriffene Miene aufgesetzt habe (einen Moment lang bin ich mir gar nicht sicher, wer ich bin oder in welchem Leben), dann sehe ich ihren Mund sich bewegen, bemerke den Lippenstift und höre sie sagen: »Also hier bist du.«
Ich hebe einen meiner Stiefel aus dem Matsch und deute darauf: »Ich schreite gerade das neue Gehege für die Löwen ab.«
Sie hält eine Hand vor die Stirn und schirmt die Augen vor der Sonne ab. »Hast du an Sonnencreme gedacht?« Und ehe ich antworten kann: »Einen Hut solltest du auch aufsetzen. Wie viele Karzinome hast du dir schon wegoperieren lassen – waren’s zweiundzwanzig oder fünfundzwanzig?«
Andrea trägt übrigens keine Atemmaske, und ich auch nicht. Ebensowenig Mac und Chuy und April Wind und alle anderen im Haus. Mit diesem Schwachsinn haben wir schon im Januar aufgehört, als man uns in der Glotze mitteilte, daß die Mucosapanik genau das gewesen war – eine Panik. Offenbar hatte es an der Ostküste einen lokalisierten Ausbruch einer neuen und besonders virulenten Form der normalen Erkältung gegeben (Menschen starben daran, meist die Altalten, aber trotzdem handelte es sich nur um eine Erkältung), und eine gewisse Hysterie war wohl
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