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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Raubkatzenkilos, das gelbe Feuer in seinen Augen, die Mähne, die wie eine schlechtsitzende Perücke auf seinem Rücken hin und her schwingt, die spinnendürren Gliedmaßen, die reißenden Klauen. Er trotzt der Schwerkraft. Er ist leise, ganz leise, macht kein Geräusch bis auf das Kratzen der hakenförmigen Klauen, die sich ihren Halt suchen. Dandelion. Beim Klettern.
    Die Tür schwingt noch einmal auf, als würde noch ein weiterer Gang aufgetragen, ein größeres Festmahl als nur Eier – Curry mit Lamm-Tikka, aufgetauter Heilbutt in Kardamomsauce, unerwartete Delikatessen und zusätzliche Leckereien –, aber kein menschlicher Antrieb hat diese Tür aufgestoßen. Wer es zuerst merkte, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich, daß ich aufblickte, daß sich Köpfe umwandten, die Bewegung der Tür, und dann sah ich Dandelion dort stehen. Und ich roch ihn. Ein Löwe in der Tür hätte ja noch ein Schabernack des Lichtes sein können, Brille runter und am Ärmel putzen, bald mal neue Gläser verschreiben lassen, aber dieser Gestank ließ sich nicht beschönigen. Es war ein urzeitlicher Gestank. Es war der Gestank des Todes.
    In der Wildnis, als es noch Wildnis gab, töteten Löwen ihre Beute durch Ersticken. Sie rissen ein Zebra oder ein Gnu oder auch einen Kaffernbüffel und schlossen dann die breiten Kiefer um den Hals oder, häufiger noch, um Maul und Nase, bis das Opfer sich nicht mehr rührte. Wenn sie Menschen angriffen, so taten sie es meistens nachts, bissen sich durch eine Zeltplane oder Hüttenwand und packten ihr Opfer am Schädel, den sie augenblicklich zermalmten. Wenn die Beute aufwachte oder der Löwe sein Ziel verfehlte, konnte es unangenehm werden. Dann kamen die Klauen ins Spiel, und das schreiende Opfer wurde in die Nacht verschleppt. Bei einer zufälligen Begegnung im Busch dagegen gab es keine Chance. Da tat der Löwe eben, was Löwen nun einmal taten.
    Knurrt er? Oder faucht er? Ich weiß es nicht, aber ich packe Andrea am Arm und zerre sie ungelenk in den leeren Raum unter dem Tisch, Stühle scharren, irgendwer schreit, Gott höchstpersönlich wird von einem der Als beschworen – von dem, der kurz darauf wie eine Wassermelone aufgeschlitzt und durch das Zimmer geschleudert wird, während Dandelion geifernd und brüllend auf Mac losgeht. Wieso Mac? denke ich mir, während ich mit Andrea im Schlepptau zur Tür haste und April loskreischt und der überlebende Al eine lächerlich kleine Pistole aus dem Lederhalfter unter seinem Arm zu ziehen versucht, aber man denkt eigentlich nicht allzuviel unter derartigen Umständen. Das Gebrüll allein genügt schon, einem das Herz stillstehen zu lassen – und ich habe Dandelion noch nie so gesehen, so aufgebracht und zornig, so wütend und tobend und bissig –, aber dazu gesellt sich der Anblick von Blut. Schlimmer noch, der Anblick von Mac – unserem Wohltäter, Dandelions Wohltäter, dem Garanten von Fleisch, Geld, ärztlicher Versorgung und Freundschaft, dem wahrhaft treusorgenden Freund der Tiere –, wie er ganz still in der Wiege seines umgestürzten Stuhls liegt. Sein Hut ist weg, die Sonnenbrille zerbrochen, die Aalpeitschen saugen sich mit Blut aus der Kopfhaut voll wie die grellroten Spitzen eines Malerpinsels. Andrea schreit mir irgend etwas ins Ohr, und die Tür zum Korridor schließt sich vor der Szene, schließt sich fest, Ratchiss’ schweres Jagdgewehr ist unten im Erdgeschoß, und es gibt keine Hoffnung für irgendwen oder irgend etwas auf dieser Welt mehr.

Teil 3
Wildnis Amerika

Lompoc/Los Angeles, September–Oktober 1991
    Viel seltsamer hätte der Übergang wohl kaum sein können – vom Penishalter und von endlosen Horizonten geradewegs in die Gefängniskluft und hinter einen vier Meter hohen Maschenzaun mit Stacheldrahtspiralen obendrauf. Tierwater ließ die Beine vom oberen Bett im Zimmer (nicht Zelle, Zimmer ) baumeln, das er mit Bill Driscoll teilte, einem Börsenschwindler, Profibetrüger und bundesstaatenübergreifenden Abzocker älterer Menschen, und ließ sich das durch den Kopf gehen. Die meisten Verbrecher, ob nun aus der Ober- oder Unterschicht, wurden entweder bei der Tat ertappt oder um vier Uhr früh aus dem Bett geholt, aber wie viele von ihnen wechselten schon aus der freien Natur unvermittelt zu Zivilisation und Gefangenschaft zurück? Tierwater stellte sich einen Desperado im Wilden Westen vor, der gerade noch in seinem Kanincheneintopf gerührt hat und auf einmal ins Bezirksgefängnis von Yuma geworfen wird. Oder

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