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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sicher, nichts dagegen hätte, als Demokrat und Menschenfreund, der er ist), und wir nehmen als erste Platz, knapp gefolgt von April Wind. »Halloho, Ty!« zirpt sie, als hätte sie mich monatelang nicht gesehen, und sie beugt sich zu Andrea hinunter, um ihr ein Küßchen aufzudrücken, ehe sie sich ans andere Ende der Tafel setzt, gleich neben Macs Platz. Sie hat einen aufregenden Winter hinter sich, die Zwergen-Tantra-Tussi im Kinderkleidchen, hat sich ihr Sierra-Buch aus den Fingern gesogen (vorläufiger Titel: Aus Liebe zu den Bäumen ) und mit Mac geschäkert. So ist es. Sie haben gemeinsame Interessen gefunden – Sternzeichen, Pantheismus, ganzheitliche Medizin, Yin-Yang und das androgyne Universum, außerdem Kristalle –, und da sie die einzige Frau unter siebenundsechzig ist, die es auf Pulchris Island verschlagen hat, denke ich mir, war es wohl unvermeidlich, daß sie Macs Blicke auf sich zog. Nicht daß er anspruchslos wäre – nur praktisch veranlagt.
    Auf dem Tisch stehen Orangensaft (frisch gepreßt, in einem Steinkrug), ein Teller mit Chapati und Schüsselchen mit eingelegten Limetten und Mangochutney, zwei Flaschen Champagner in Eiskühlern und eine Früchteschale mit Kiwis, Bananen und Kumquats aus unseren eigenen überschwemmten Obstgärten. Ich gieße mir ein Glas Orangensaft ein, dann entferne ich den Draht von einer Flasche Mumm Cordon Rouge, 1999, aus den Pulchrisschen Kellereien, und lasse den Korken knallen. »Na, und wie geht’s dem Buch?« frage ich und sehe April Wind an.
    »Gib mir einen Schluck, Ty.« Das ist Andrea. Sie will Champagner, und wer kann’s ihr verübeln nach dem vielen Sake-Fusel, aber nebenbei will sie auch meine Frage abbiegen. Sie beugt sich vor, hält das Glas schräg unter die Flaschenöffnung, während ich einschenke. Schwer zu sagen, was sie denkt, aber ich vermute, wenn sie sich zwischen April und mir entscheiden müßte, wäre ich schlagartig abgemeldet. Und das tut weh. Wirklich, das tut es.
    »April?« frage ich, ziehe die Augenbrauen in die Höhe und halte ihr die Flasche hin.
    »Nein, danke.« Sie sieht aus wie ein verwahrlostes Kind, das schlaffe schwarze Haar, die leicht asiatischen Augen, der lippenstiftlose Mund. Sie scheint ihre Schultern zu umklammern, was sie noch schmaler wirken läßt, die winzigen Hände sind vor dem Körper gefaltet, das Totem baumelt ihr in seinem lächerlichen kleinen Säckchen vom Hals. Was konnte Mac nur in ihr sehen?
    Ich schmatze in Vorfreude auf den Champagner, verdünne ihn mit einem Schuß Orangensaft. »Und wie geht’s dem Buch?« wiederhole ich, und dabei höre ich die Stimme meines Vaters, den leise spöttischen Ton, wenn er abends in die Küche kam, um sich einen neuen Drink einzugießen, und mich am Tisch sitzen sah, die Schularbeiten vor mir ausgebreitet wie ein Haufen Altpapier. »Nu, wie geht’s?« fragte er immer.
    April Wind senkt den Kopf. Zuckt die Achseln. Hält mir ihr Glas hin für einen Schluck Orangensaft. »So gut, wie man es erwarten kann.«
    »Keine Großverlage, die dir die Tür einrennen?«
    »Hör auf, Ty«, sagt Andrea und wechselt einen Blick mit April Wind. Der Blick besagt: Verzeih ihm, er ist eben ein Idiot, und ich bin ja auch ein Idiot, klar bin ich das – das ist mein Blut in diesem Buch, und das meiner Tochter.
    »Was wird eigentlich gefeiert?« erkundigt sich April Wind mit ihrem piepsigen Kindergärtnerinnenstimmchen, und ich kann mich nicht beherrschen und sage: »Mac fährt wieder weg«, nur um zuzusehen, wie ihr die Kinnlade runterfällt.
    »Das weißt du doch gar nicht, Ty...« Andreas Tonfall klingt leicht gereizt. Auf wessen Seite steht sie?
    »Wollen wir wetten? Ihr denkt vielleicht, ihr kennt ihn nach den – vier, fünf Monaten? Aber ich bin seit zehn Jahren bei ihm, und ich weiß, er wird wieder kribblig, das ist immer so bei ihm. Wenn das Scheißwetter und diese Mucosageschichte nicht gewesen wären, wäre er vor Monaten schon abgedüst, glaubt mir.«
    Und dann schwingt die Tür auf wie aufs Stichwort, und da ist er – Mac, mit Hut, Sonnenbrille und Aalpeitschen, flankiert von den Als. »Was tut sich, Leute?« trällert er und breitet die Arme aus. »Steht ihr etwa nicht auf diese wahnsinnige Sonne? Ist das nicht ein Supertag? Verdienen wir so was überhaupt, oder wie?«
    Die Als haben schon bessere Zeiten gesehen. In ihren Augen flackern Visionen von Blackjacktischen, Cocktailkellnerinnen, Rennbahnen, und ihre Haut hat die Farbe von Nährlösung in einer Petrischale. Der

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