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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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die Buschmänner, gejagt und versklavt von ihren berittenen Burenmeistern. Oder nach krasser: ein in freier Wildbahn gefangenes Tier, ein von Onkel Sol aus den Bäumen geholter Orang-Utan, der hektisch am fremdartigen Maschendraht seines Käfigs kaut, ein im Kraal in die Falle gelaufener und an einen Pfahl geketteter Elefant, ein an den Flügeln gestutzter Adler.
    Aber wenn er sich fühlte wie ein Tier, so war er jedenfalls kein wildes, kein Raubtier – nein, er kam sich eher wie ein Haustier vor, ein Kinderpony mit der Schnauze im Futtersack, der verfettete Schoßhund, der sich auf dem Teppich vor dem Kamin einrollte. Im vergangenen Jahr hatte er sich dreißig Tage lang von Wurzeln, Insekten und Fischen ernährt, die nicht länger als sein Zeigefinger waren, aber seit sie ihn hier eingesperrt hatten, aß er für drei: Grillhähnchen mit Kartoffelbrei, Sahnetorten, Hamburger, Pizza, Spaghetti, Pommes frites und Zwiebelringe, drei Kugeln Eiscreme mit Schokosoße und dazu eine Kräuterlimo zum Runterspülen. Zum erstenmal im Leben hatte er einen Bauch, und er hatte sogar so etwas wie ein richtiges Hinterteil entwickelt, um seine Sträflingshosen auszufüllen. Das war das eine, und außerdem ging es in diesem Knast – Club Fed nannten sie ihn – nicht wesentlich strenger zu als in einem Pfadfinderlager. Aber Pfadfinder dürfen irgendwann nach Hause, und wie man es drehte und wendete, Tierwater war eben doch im Gefängnis – weggesperrt, eingekerkert, getrennt von Frau und Tochter, seinem Scheckbuch und der guten Sache –, und er hatte nichts getan, um das zu verdienen.
    Sie hatten ihm den Waldbrand anhängen wollen und die Zerstörung der vielen teuren Maschinen der Firma Coast Lumber, aber da war er wütend geworden, hatte sich entrüstet und alles mit dem selbstgerechten Zorn des zu Unrecht Beschuldigten abgestritten, und natürlich hatten sie keine Beweise. Kein Fitzelchen. Allerdings holten sie Quinn – krächzend, hustend und sich kratzend – in den Gerichtssaal, und der jedenfalls war von Tierwaters Schuld überzeugt, unternahm auch alles in seiner Macht Stehende, um die kalifornischen und die bundesstaatlichen Ermittler dazu zu bringen, die Liste der Anklagepunkte zu erweitern. Taten sie aber nicht. Tierwater bekannte sich der Kindesentführung und der Flucht über eine Staatsgrenze hinweg schuldig, so wie es von Fred und seinen hektischen Gesetzbuchblätterern in dem Kuhhandel vereinbart worden war, alle übrigen Anklagepunkte wurden in beiden Gerichten fallengelassen. Er wurde zu dreihundertsechzig Tagen im Bundesgefängnis von Lompoc verurteilt, wobei die Strafe des kalifornischen Gerichts gleichzeitig mit der bundesstaatlichen abgegolten werden konnte.
    Anfangs war er froh gewesen, ins Warme zu kommen, glücklich, ein Bett zum Schlafen zu haben und dreimal täglich dank seiner Nase den Weg zum Speisesaal zu finden. Er war taub und blind für alles andere, so als genäse er gerade von einer schweren Krankheit. Die anderen Häftlinge nahm er nicht einmal wahr, sah nicht ihren schlurfenden Gang und die in Angst, Gier, Wut oder Haß erstarrten Gesichter. Er sah nichts als den Teller, das Essen, den Twix-Riegel und das Milky Way im Gefängniskiosk. Das dauerte jedoch nicht lange. Vier oder fünf Tage vielleicht. Eine Woche. Dann registrierte er auf einmal die Wärter, als stammten sie aus einem Traum, er sah den Zaun, die vergitterten Fenster, die gerissenen, neunmalklugen Mienen rings um ihn, aufgereiht wie Masken auf einer Wand. Er war ein Krimineller. Er saß im Gefängnis. Und obwohl die anderen Insassen lernten, ihn in Ruhe zu lassen, obwohl Kurse in so ziemlich allem angeboten wurden, von Zen-Buddhismus über Kfz-Reparaturen bis zum Lyrik-Workshop, und ihm drei Hartplätze zum Tennisspielen sowie ein Fitnessraum zur Verfügung standen, nagte die Gefangenschaft mehr und mehr an ihm, bis er nachts kaum noch schlafen konnte. So wurde er von System behandelt. Von der Maschine. Vom Fortschritt.
    Jeder Tag war endlos, aber nicht so wie jene lichterfüllten, bewußtlosen Tage draußen in der Wildnis, als alle seine Sinne brannten und schon das leiseste Blätterrascheln Nahrung in seinem Kopf schreien ließ, sondern eher in Form einer Benommenheit und Langeweile, zäh und schwarz, so als gösse man Schlamm durch einen Trichter in einen sehr kleinen Behälter. Er las, er schlief, er sah fern, genau wie die anderen idiotischen Weicheier. Aus Verzweiflung und weil Fred gesagt hatte, es könne vielleicht die

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