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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gleichermaßen Feinde des Spiels und Feinde der Spieler. Tierwater hatte gelernt, sich nicht allzuviel von ihnen zu erwarten. Er hörte einem der Neuzugänge zu, der gerade seiner Frau oder Freundin erzählte, wie gründlich er es ihr besorgen würde, wenn er in sechs Monaten wieder rauskäme – bis in die Zwischenräume deiner Zehen, Baby –, als Andrea und Sierra eintraten.
    Andrea trug hohe Absätze und ein enges grünes Kleid mit Spaghettiträgern, das ihre Arme und Schultern zur Geltung brachte. Sierra, in Schlabberjeans, Basketballschuhen und einem Sweatshirt mit dem Aufdruck ihrer Highschool, lehnte gleich neben der Tür an der Wand, während einer der Wärter – noch so ein Ungeheuer aus Doughnuts und Kentucky Fried Chicken – Andrea auf Schmuggelware prüfte. Mit dem kleinen Metalldetektor die Vorderfront hinauf und hinunter, beide Seiten, dann herumdrehen, der Zauberstab folgte jeder Kurve, das Haar fiel ihr als schimmernder, feiner weißblonder Vorhang vors Gesicht, und jeder Häftling beobachtete sie mit diesem ausgehungerten Gefängnisblick in den Augen, sogar die, vor denen ihre schwangeren sechzehnjährigen Freundinnen aufragten wie Grabsteine. Dann durchquerte Andrea den Raum, alles geriet in Bewegung, und Tierwater erhob sich, um die Hände flach auf den Tisch zu stemmen und sich für den Kuß in sie hineinzulehnen.
    Der Kuß war die große Nummer jeder Begegnung im Besuchertrakt, und jeder Häftling kostete ihn voll aus, träumte von anderen Orten und anderen Zeiten, genoß den weiblichen Duft und Geschmack so lange wie nur menschenmöglich. Tierwater war da nicht anders. Dreihundertvierunddreißig Tage ohne Sex. So zahlte man seine Schulden an die Gesellschaft, und wie. Mit Zinseszins. Er klammerte sich mit den Lippen an Andrea, solange es ging, und dann saßen sie einander am Tisch gegenüber, sein Ständer pulsierte beharrlich, und sie redeten über Sachen, die nichts bedeuteten, über profane Sachen, über die Sachen in der Welt außerhalb des Drahtzauns. »Das Geschäft ist fast unter Dach und Fach«, sagte sie.
    »Welches meinst du – das Einkaufszentrum?«
    »Genau. Teo kannte jemanden an der Ostküste – weißt du noch, ich hab’s dir letztesmal erzählt? –, und der ist rübergeflogen und hat unterzeichnet. Nicht daß deine Lieblingsmaklerin uns dabei irgendwie geholfen hätte, das war eine unfähige Dumpfbacke, die etwa so viele Aussichten hatte, das Ding zu verkaufen, wie ich auf die Ernennung zum Premier von China...«
    »Elsa war eine gute Bekannte meines Vaters.«
    »Mag schon sein, aber sie hätte dieses Objekt nicht mal verkauft, wenn es das letzte Grundstück an der Ostküste gewesen wäre. Sie war müde. Sie war alt, Ty – ich meine, wie alt ist sie? Sechzig? Siebzig?«
    »Was haben wir denn gekriegt dafür, nur der Neugier halber? Immerhin muß das ja wohl den Rest unseres Lebens reichen, oder? Nicht so wichtig also.«
    Sie schürzte die Lippen. Rutschte auf dem Sitz herum. Warf das Haar nach vorn und strich es wieder nach hinten. »Eins-drei«, sagte sie.
    Einen lebhaften Moment lang sah er das Gebäude vor sich, das er da verloren hatte: den mongolischen Grillimbiß, der vorher eine chemische Reinigung und davor ein Kuriositätenladen gewesen war, die dreckigen Fenster des leerstehenden Drogeriemarkts, das Modellbaugeschäft, das ihn als hirnloser Teenager fasziniert hatte, die Wollkugel-Ecke, die Tierhandlung mit ihren schlierigen Aquarien, den genervten Vögeln und diesem Geruch nach überhitztem Tod. Es war eine ideale Immobilie, jedenfalls damals in den Sechzigern, als sein Vater das Ding gebaut hatte. Eins Komma drei Millionen Dollar. Na ja, eins-drei war besser als nichts, und wer wäre schon so verrückt, die Hütte zu kaufen – selbst zum halben Preis?
    »Da sind das Bürogebäude und der ganze Schnickschnack nicht dabei«, fügte sie noch hinzu.
    Er rechnete es durch. Eins-drei minus die sechshunderttausend für die zweite Hypothek, dazu die rund vierzigtausend Maklergebühr plus Steuern obendrein – trotzdem blieb noch ein nettes Sümmchen übrig. Wie viele Broschüren ließen sich damit drucken? Wie viele Abzugskanäle verstopfen?
    »Und das Haus auch nicht, obwohl wir ein schlaffes Angebot dafür bekommen haben, und bei dem Riesengrundstück hinter der Anlage sollten wir – solltest du – es lieber behalten. Da wird der Preis irgendwann explodieren, da bin ich todsicher...«
    Und dann war da noch Sierra. Andrea stand auf, und Sierra nahm ihren Platz ein,

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