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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Haftdauer reduzieren (was nicht der Fall war), belegte er einen Kurs mit dem Titel »Heilsamer Selbstausdruck und das Paradox des Ich«, geleitet von einem verbitterten, nichtpublizierten Dichter, der als Teilzeitlehrer an der Volkshochschule arbeitete und ihm gestand, er sei »vom Verbrecherhirn fasziniert«. Er arbeitete in der Gefängnisdruckerei und stellte dort Amtsformulare her. Er spielte Karten, Dame, Schach und Pachisi, kaute Kaugummi und bastelte Modellflugzeuge, die Andrea ihm mitbrachte. Dreimal die Woche spielte er ein paar ungestüme, strapaziöse Sätze Tennis mit einem jungen Bankräuber namens Amaury Benitez, der vor seiner Wohnungstür verhaftet worden war, zwanzig Minuten nachdem er der Kassiererin die Forderung nach dem Kasseninhalt überreicht hatte – gekrakelt auf die Rückseite seines eigenen Einzahlungsscheins. Nachts, wenn Bill Driscolls Atem allmählich entgleiste und sich in den verschlungenen Tunneln des Tiefschlafs verlor, dachte er an Andrea, nackt in der Wildnis, und onanierte in einem behaglichen Traum, dessen Ende er so lange wie möglich hinauszögerte.
    Doch das würde alles nicht mehr lange dauern: in sechsundzwanzig Tagen stand seine Entlassung bevor. Sechsundzwanzig Tage noch. Dann konnte er in sein normales Leben zurück, jeden Montag ein Termin beim Bewährungshelfer, und in den frühen Morgenstunden würde er sich davonstehlen, um seinen Anteil am Sturz des Systems zu leisten, und er hatte wahrlich massenhaft Zeit gehabt, sich eine erkleckliche Liste an Schlüsselfiguren aufzustellen – lauter Stützen und Stabilisatoren des Systems, mit Sheriff Bob Hicks, Richter Duermer und Siskiyou Lumber ganz oben. Ach, ja: Freiheit. Und wie war es wohl draußen, jenseits der vergitterten Fenster und des Drahtzauns? Sonnig und kühl, ein Wind vom Meer, der nach Wracks und Muscheln roch – Miesmuscheln, naß aus dem Sand gegraben und für eine Suppe gehackt.
    Als Tierwater sich behutsam vom Bett herunterließ, um Bill Driscoll nicht zu wecken, der offenbar vorhatte, seine Strafe durchzudösen, da fühlte er sich gut, erfrischt und zu allem bereit. Es war Samstag und damit Besuchstag, für den frühen Nachmittag erwartete er Andrea und Sierra. Er würde seine Frau küssen – einmal zu Anfang des Besuchs und einmal am Ende, das gestatteten die Vorschriften –, und er würde seiner Tochter die Hand tätscheln und ihr zuhören, wie sie von der Schule, den Jungs und den Boutiquen erzählte und daß sie so total froh war, dieses Kuhkaff und das ganze blöde Sarah-Drywater-Ding hinter sich zu haben. Er wollte sich ihr öffnen, ihr erzählen, wie sehr sie ihm fehlte und daß er alles wiedergutmachen würde, sobald er wieder draußen wäre, aber es gelang ihm nicht; sie war immer so stumm im Besucherraum, eingeschüchtert von der Umgebung – und, wie er langsam vermutete, auch von ihrem Vater. Er starrte sie über den Tisch hinweg an und wußte nichts zu sagen.
    Er sah sie einmal im Monat, und jedesmal war sie ein neuer Mensch, nicht mehr der rotgesichtige Säuglingszwerg, den er sich über die Schulter geworfen hatte wie einen Teppich, oder das kleine Mädchen, das auf einer verstimmten Geige fiedelte, während die Sonne durch die Bäume brach, oder auch nur der schlaksige Teenager, der auf den Stufen von Ratchiss’ Hütte Monopoly spielte. Sie wurde erwachsen, ohne ihn. Inzwischen war sie fünfzehn, fast so groß wie Andrea, mit der erblühenden Figur einer Frau, und er hatte ihr so viel zu erzählen. Jedenfalls dachte er das. Aber wenn sie tatsächlich da war, ihm am Tisch gegenübersaß, während Bill Driscoll sich mit dröhnender Stimme bei der stupsnasigen kleinen Fitness-Tussi, die vermutlich seine Frau war, über das Essen beschwerte, und die Mutter von Amaury Benitez in ein Taschentuch von der Größe eines Bettvorlegers heulte, fiel ihm einfach kein guter Rat ein, weder väterlicher noch sonst einer.
    Doch jetzt, jetzt zog er sich den Gürtelbund hoch und schlenderte den Korridor entlang und zur Tür hinaus auf den Hof, jedesmal von neuem erstaunt über die Weite des Himmels und das Gefühl der Sonne auf seinem Gesicht, und ihn plagten keine Sorgen. Sechsundzwanzig Tage. Das war gar nichts. Er würde in das Haus ziehen, das Andrea für sie in Tarzana gemietet hatte, den Rasen mähen und den Müll raustragen, und er würde Sierra morgens zur Schule bringen und sie am Nachmittag wieder abholen, er würde sie zum Einkaufen fahren, zum Eisessen, ins Kino, und alles wäre so wie

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