Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
des orangefarbenen Lieferwagens mit grinsender Stoßstange und der anonymen Maske einer verglasten Fahrerkabine die Straße entlang auf ihn zurast, auf sie zurast – aber das Kniegelenk ist nicht dafür konstruiert, in diese Richtung nachzugeben, und so fällt er im kritischen Moment – Verfluchte Scheiße, das Arschloch wird uns umnieten! – wieder nach hinten und plumpst schwer und unelegant auf den Eimer, der noch dazu unter ihm wegrutscht. »Halt!« schreit er, »haaalt!«, vor einem Hintergrund aus Gekreische und Protest, und irgendwie ist er wieder auf den Beinen, tastet nach links, nach seiner Tochter, um sie an sich zu ziehen und vor dem Aufprall zu schützen... der Gott sei Dank nicht eintrifft.
    Über Windeln würde er nur ungern sprechen, nicht in diesem Zusammenhang. Lieber spricht er über die drei Holzfällertypen mit dichten Vollbärten und roten Hosenträgern, die sich in der Kabine dieses Pickups drängen, jenes grellorangen Toyota-Vierradantriebs, der in einer dämonengehetzten Staubwolke keine drei Meter vor ihnen zum Stehen kommt. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern – diesen Halb-acht-Uhr-morgens-Gesichtern, die Egg McMuffins in ihren Bäuchen sind noch warm, brühendheißer Kaffee ist ihnen zwischen die Beine geschwappt, ihre Mützenschirme sitzen schief, und die Augen kriechen in ihren Gesichtern herum wie Nacktschnecken. Es ist ein Blick von schier außerirdischem Erstaunen. (Man mache diesen Männern keinen Vorwurf – jedenfalls einstweilen noch nicht. Sie haben hier nicht mit uns gerechnet – sie haben mit gar nichts gerechnet, außer vielleicht mit einem verspäteten Coyoten oder einem selbstmörderischen Erdhörnchen – und auf einmal tauchen wir auf, wie eine göttliche Erscheinung, wie die Lahmen, die plötzlich wieder gehen, oder die Blinden, die wieder sehen können.)
    »O Gott«, murmelt Andrea, und es klingt, als hätte es ihr alle Luft auf den Lungen gepreßt, und jetzt stehen sie, halten einander zitternd an den Händen, weil sie nichts Besseres zu tun haben. Tierwater riskiert einen raschen Seitenblick von dem Wagen zum Gesicht seiner Tochter. Es ist ein winziges Gesichtchen, eingeschrumpelt und in sich zurückgezogen, das Gesicht eines kleinen Mädchens, das in der Nacht vor Angst aufgewacht ist, die kratzige Stimme, das Bedürfnis nach Vernunft und Verständnis, nach der geflüsterten Versicherung, daß die Welt, in die sie erwacht ist, noch die alte ist, die unveränderliche, die Welt, die sich weiterhin um ihre Achse drehen wird, egal, ob wir hier sind, um sie anzuschubsen, oder nicht. Ihre Miene lähmt ihn. Was denken sie sich eigentlich? Was tun sie hier?
    »Herr im Himmel , was ist denn hier los?« erklingt es aus dem Pickup, eine einhellige Stimme, konzentriert in Form eines pferdeschwänzigen und pfefferbärtigen Kopfes, der sich durch das offene Fenster der aufgehenden Fahrertür schiebt. »Habt ihr Typen euch verirrt, oder was?« Im nächsten Moment kommt auch der Rest des Sprechers in Sicht: Arbeitsstiefel, hochgerollte Jeans, ein Flanellhemd mit verblichenem Karomuster. Sein Gesicht erinnert an eine Bratpfanne. An eine soeben durchbrennende Sicherung. »Was um Himmels willen ist los mit euch? Ich hätte euch beinahe – wißt ihr, ich hätte...« Er ist sichtlich nervös, seine Hände zittern so sehr, daß er sie in den Taschen vergraben muß.
    Tierwater muß sich daran erinnern, daß dieser Mann – etwa fünfunddreißig, leere, tote Alkoholikeraugen, der glänzende Abdruck einer Narbe prägt seinen Nasenrücken wie ein Brandzeichen – nicht der Feind ist. Dieser Kerl verdient nur sein Gehalt, er fällt und transportiert und produziert genügend Kubikmeter Holz pro Jahr, damit Mittelklasseamerikaner das gottgegebene Recht ausüben können, ihre Wohnzimmer zu täfeln und irgendwelche Picknicktische aus Redwoodholz nach unverständlichen Bauanleitungen zusammenzuschrauben. Der Typ hat weder von Arne Naess noch von Tiefenökologie, noch von den Pilzrhizomen gehört, die sich um die Wurzeln der alten Bäume schlingen und so den Wald überhaupt erst ermöglichen. Seine Bibel, und ihre Exegese gleich dazu, hat der Fascho-Talkmaster Rush Limbaugh geschrieben. Zu Hause hat er sicher ein T-Shirt im Kleiderschrank, das einen Fleckenkauz in der Bratpfanne zeigt. Er weiß unfehlbar, mit quasi unumstößlicher Gewißheit, daß alle Naturschützer »Grüne Nigger« sind und daß Earth Forever! eine Fassade für Bolschewiken-Terroristen mit homosexuellen Neigungen ist. Aber

Weitere Kostenlose Bücher