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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zurück, das Ding bäumt sich auf wie ein Pferd und biegt knapp vor ihnen ab, mit einer gewissen mechanischen Grazie, die er kaum für möglich gehalten hat.
    Doch das war nur der erste Durchgang, und er trägt den Bulldozer mit einem schweren Rumser in die Felswand neben ihnen, Funken sprühen von der Schaufel, das Kreischen einer unnachgiebigen Fläche, die auf eine andere trifft, und Tierwater spürt den Aufprall bis in die Füße, während Gesteinssplitter und Dreck auf ihn niederregnen. Gewalt ist ihm durchaus vertraut. Sein Vater übte sie aus, seine Mutter erlitt sie, seine erste Frau ist daran gestorben – an der allerbanalsten Form von Gewalt, in einem so entlegenen Wald wie diesem hier. Neu ist ihm eher der Pazifismus oder Masochismus, oder wie man das auch nennen mag, was sie hier gerade durchleiden, und wenn er seine Beine nur eine halbe Minute lang befreien könnte, würde er diesen verbissenen Scharfrichter da von seinem Sitz runterholen und in das Gesetz der Faust einweisen, das würde er. Aber er kann nichts unternehmen. Er kommt nicht los. Sitzt fest auf dem Leim des passiven Widerstands, Mahatma Gandhi, Rosa Parks und James Meredith gehen ihm in rascher Folge durch den Kopf. Und er schwört sich: Nie wieder, niemals! , als der Mann am Schalthebel seine acht Tonnen aus kreischendem Eisen und Stahl für die zweite Runde herumwirft, und dann für die dritte und die vierte.
    Aber das reicht. Das reicht jetzt wirklich. Tyrone Tierwater möchte sich nicht daran erinnern, was das seiner Tochter antat, oder an ihren Gesichtsausdruck oder das schale, triste Gefühl der eigenen Ohnmacht. Irgendwann tauchte der Sheriff mit seinen zwei Deputys auf, ließ sich jede Menge Zeit dabei. Und was tat er, als er endlich eintraf? Ließ er den Kerl auf der Planierraupe einbuchten? Ließ er das Unternehmen stoppen, damit das Gericht entscheiden möge, ob es legal war, einfach eine Schneise durch ein Waldstück zu schlagen, wo laut Unterlagen keine Straße zu sein hatte? Nein. Er legte die vier in Handschellen – sogar Sierra –, und seine Hilfssheriffs hatten einen Heidenspaß dabei, ihnen die Strickmützen vom Kopf zu reißen, sie zusammenzuknüllen und in den Bach zu schleudern, und dann ließen sie sie einen Blick in den Spießerhimmel werfen, durchschnitten die Riemen der Wassersäcke und pfefferten sie den Mützen hinterher. Zu guter Letzt verschafften sich dieselben pausenlos grinsenden Beamten noch einen kleinen Kitzel, indem sie unter Tierwater, seiner Frau, seiner Tochter und seinem guten Freund nacheinander die Eimer wegtraten, und schließlich ließen sie sich nieder, um zuzusehen, wie sie drei endlose Stunden lang in der Sonne auf die Männer mit den Vorschlaghämmern warteten.
    Andrea verfluchte die Deputys, und die verfluchten sie. Teo funkelte sie aus der Höhle seiner Muskeln wütend an. Tierwater war außer sich. Er raste und wütete und drohte ihnen mit allem, von tätlichem Angriff über Schadenersatzforderungen bis zu einer Anklage wegen Amtsmißbrauch – jedenfalls so lange, bis Bob Hicks, seines Zeichens Sheriff von Josephine County, eine Rolle Klebeband holte und ihm den Mund verschloß. Und seine Tochter, seine harte, rechtschaffene, langhaarige, baumschützende, tierliebe, vegetarische Tochter – die klappte wie ein Schirm über dem Gefängnis ihrer Beine zusammen und weinte. Dreizehn Jahre alt, müde und verängstigt, ließ sie sich gehen. (Jetzt scharrten sie mit ihren Arbeitsschuhen und wirkten sogar beschämt, die Dienstabzeichenpolierer und Forstbehördenhengste, die sich in einem grünen Jeep dazugesellt hatten – vermutlich hatten sie selber Töchter und Söhne und Hunde und zahme Kaninchen in einer Kiste –, aber keiner von ihnen konnte irgend etwas gegen den Kummer meiner Kleinen unternehmen. Ich schon gar nicht.)
    Dankbar für die Atempause dieses Tages, rollten sich die Pazifischen Salamander in ihren Felsspalten zusammen, die Marder zogen sich ins Blätterdach zurück, und die Fleckenkäuze klappten ein Auge auf beim Klang jenes dünnen, untröstlichen Klagelauts menschlicher Verzweiflung. Tierwaters Hände waren gefesselt, sein Mund zugeklebt. Jedes Schniefen, jedes heruntergewürgte Schluchzen bohrte sich ihm wie ein Stachel in den Hinterkopf.
    Tja. Aber nun die Ironie der Geschichte, der Arschtritt, die traurige, ernüchternde, ärmliche Auflösung. Bei allem, was sie an diesem Morgen durchlitten, bei aller Pein, Langeweile und Demütigung ist kein einziger Reporter vor Ort,

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