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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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unerläßliche letzte Schritt, das Problem, das du schon die ganze Woche ausblendest, außer wenn du mich beschuldigt hast, ich hätte es vergessen – vielmehr: sie vergessen.«
    Da durchzuckt es ihn. »Die Windeln?«
    Achtzehn pro Packung, zu sechzehn neunundneunzig. Sie mußten in drei verschiedene Größen investieren – S, M und L, jeweils für Sierra, für Andrea und Teo, und für ihn –, aber Andrea meinte, sie würden sie bestimmt bei der nächsten Aktion verbrauchen, wann und wo immer die auch stattfinden würde. Entweder das, oder sie konnten sie anderen Freiwilligen schenken. Sie heißen, beruhigenderweise, Vertrauen , und auf ihren Rat hin haben sie die Höschenwindeln extra saugfähig gekauft. Den winzigen Bruchteil eines Augenblicks muß er daran denken – extra saugfähig – und daran, was diese Dinger aufsaugen sollen.
    Einen Moment lang ist es still in der Dunkelheit, der nackte Wald knistert ringsherum, die allerersten Vögel rufen schon nach der Morgendämmerung, während sie alle vier mit einem sehr privaten Akt beschäftigt sind. Das Aufziehen von Reißverschlüssen, Hüpfen auf einem Fuß, Arme fuchteln wild ums Gleichgewicht, dann sind alle gewickelt, und die Jeans werden wieder hochgezogen, um sich um Bäuche und Hintern zu schließen. Windeln – oder Einlagen, wie Profis sie euphemistisch nennen, um die Alzheimer-Patienten und sonstige wandelnde Katastrophen nicht zu beleidigen, die Tag und Nacht in so etwas gepackt werden müssen – hat er seit seiner Säuglingszeit nicht mehr getragen, und davon weiß er praktisch nichts mehr. Er erinnert sich aber noch an Sierra, wie sie greinend und gurgelnd ihre mit Scheiße beschmierten Beinchen in die Luft warf, während er sich über die Bescherung beugte, bei den seltenen Gelegenheiten, wenn Jane, die perfekte Mutter, entweder abwesend oder besinnungslos war. Sie fühlen sich... gar nicht so übel an, einstweilen jedenfalls. Wie Unterwäsche, wie Slips, nur dicker eben.
    Und nun, zu guter Letzt, ist es soweit, das Ritual abzuschließen und Platz zu nehmen, um nach den Moskitos zu schlagen, in unruhigen Schlaf zu fallen und auf die ersten erstaunten Waldis (die Waldhütertypen von der Forstbehörde) und die Fahrer der Schwermaschinen zu warten. Sie reichen einander die Hände, um das Gleichgewicht zu halten, versenken ihre billigen Turnschuhe in den weichen Beton, so tief es geht, und lassen sich dann auf den Böden ihrer umgedrehten Eimer nieder. Es wird ihm dreckig gehen. Sein Kopf wird niedersinken, sein Rücken wird jaulen. Er wird Moskitos anlocken und sich in die Hosen scheißen. Aber das bedeutet nichts. Ein kleines Opfer, ein Abend weniger mit einem Buch im Bett oder von der Glotze betäubt – das und ein paar Stunden körperlichen Unbehagens. Und während er einsinkt, während der Beton seine Knöchel umfängt wie ein dunkler Mund, die Sterne in die Schädelhöhle des heller werdenden Himmels zurückweichen und jeder Vogel auf jedem Baum erwacht, sagt er sich: Jemand muß es ja tun.
    Er muß eingenickt sein. Ja, er hat gedöst – geschlafen wäre wohl zutreffender. Vorgebeugt auf die Knie, hat er den Kopf auf die Arme gebettet und ist in tiefe Bewußtlosigkeit gesunken, weil es keinen Sinn hatte, irgend etwas anderes zu tun, trotz aller Sorgen und Ängste – vor acht oder frühestens halb acht würde nichts passieren, also verdrängte er all das aus seinem Denken und orchestrierte seine Träume so, daß sie sich um einen Mann im Bett drehten, einen Mann wie ihn, dünn wie ein Grashalm, aber breit in den Schultern, ohne nennenswerten Bauch oder Hintern, die ersten zaghaften Finger von Haarverlust massieren seinen Schädel, der Mann lag in einem klimatisierten Zimmer in seligem Non-REM-Tiefschlaf, so etwas wie Die Vögel von Respighi spielte leise im Hintergrund.
    Und wovon erwacht er? Ist es das röchelnde Spotzen eines schlecht eingestellten Pickups, der auf der Straße herandonnert, das abrupte spöttische Keckern eines Raben oder die unmerkliche Alarmglocke im Tonfall seiner Tochter, leise und ruhig und mit ganz tiefer Stimme sagt sie: »Äh... Dad? Dad, wach auf!« Egal, was es ist, es reißt ihn explosionsartig von dem schmalen Hocker des Eimerbodens hoch, wie ein Taucher, der aus tiefster Tiefe emporschießt, und er versucht die Beine zu heben, will aufspringen und losrennen, dem Hämmern in seiner Brust entfliehen. Doch seine Füße stecken fest. Und sein Körper, sein Oberkörper, schwankt haltlos nach vorn, während das Bild

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