Ein Freund der Erde
zusammenbeißen. Immer an die Mohawk denken, die, wenn sie gefangengenommen wurden, das Messer verlachten und der systematischen Zerlegung des eigenen Körpers applaudierten, vor Freude juchzten, während ihnen die Haut in blutige Streifen heruntergeschnitten wurde. Er überläßt es Andrea, Sierra Mut zuzugurren, mit einer Stimme wie Heilsalbe. Benommen sieht er zu, wie Andrea Sierras Vampirroman (der sich unter den Umständen nicht schaurig genug erwiesen hat) gegen ein Heft mit Kreuzworträtseln auswechselt.
Teo am anderen Ende der Reihe ist der Stoiker in Person. Er hockt auf seinem umgedrehten Eimer wie ein Mann, der in der Intimität des eigenen Badezimmers auf dem Thron sitzt, nur daß seine Blicke hier den Wald auf der Suche nach Tieren durchstreifen, statt die Schlagzeilen der Zeitung zu überfliegen, er fühlt sich ganz wie zu Hause, gelassen und restlos bereit, die Märtyrerrolle auf sich zu nehmen, wenn sie ihm denn zufallen sollte. Tierwater spielt nicht in seiner Liga und wäre auch der erste, das zuzugeben. Zum einen jucken seine Füße – ein drängendes, gebieterisches Jucken, das ihm Tränen in die Augen treibt –, und der Beton, der immer noch unmerklich aushärtet, beißt sich inzwischen durch den Panzer der doppelten Socken und der steif gewordenen Jeans in seine Knöchel. Außerdem hat er höllische Kopfschmerzen, die Sorte, die hinter den Augen anfängt und sich mit einem Pulsieren so rhythmisch und regelmäßig wie gegen den Strand brandende Wogen durchs Großhirn in den Hinterhauptlappen und wieder zurück frißt. Und er muß urinieren. Schlimmer noch, er fühlt Stuhldrang herannahen.
Eine weitere Stunde verstreicht. Er hat versucht zu lesen – The End of Nature von Bill McKibben –, aber ihm brennen die Augen und die unbarmherzige, deprimierende Rhetorik bringt ihn auf Selbstmordgedanken. Oder auf Mordgedanken. Es ist heiß. Sehr heiß. Außergewöhnlich heiß. Und obwohl sie alle Rucksackwanderer und regelmäßig in der Sonne sind, ist das hier etwas völlig anderes, eher eine Art Folter – so wie der Schwitzkasten in Die Brücke am Kwai –, und als er den Wassersack zum hundertstenmal zum Mund hebt, erinnert ihn Andrea daran, daß Wasser kostbar ist. »So wie’s aussieht«, sagt sie, und da ist wieder die Stimme der Erfahrung, in der jetzt eine gewisse grimmige Befriedigung mitschwingt, »könnten wir noch eine Weile hier sein.«
Und dann ertönt in weiter Ferne ein so leises Geräusch, daß sie anfangs gar nicht sicher sein können, überhaupt etwas gehört zu haben. Es ist der Klang eines Verbrennungsmotors, eines Diesels, dessen Pat-pat aus den Zwischenräumen der Bodenwellen zu ihnen dringt. Das Geräusch wird lauter, zuerst sehen sie die Wölkchen von giftig-schwarzem Auspuffqualm, und dann kommt auf einmal eine Planierraupe in Sicht, abgestoßene gelbe Lackierung, Antriebsrollen so groß wie Mühlräder, ein Knollengesicht voller Entschlossenheit und Empörung über den Armaturen. Der Fahrer donnert geradewegs auf sie zu, als wäre er blind, er hält die Schaufel gesenkt, als wollte er die vier Demonstranten abernten, an den Knöcheln durchtrennen wie eine Reihe vertrockneter Maisstauden. Tierwater fährt sofort hoch, steht irgendwie auf, instinktiv greift er nach der Hand seiner Tochter, und sie sagt: »Dad? Weiß er Bescheid? Ist ihm klar, daß wir nicht wegrennen können?«
Es ist genau wie vorhin bei dem Pickup, nur viel schlimmer: alle vier brüllen sie, bis ihnen die Adern am Hals hervortreten, Andrea und Teo fuchteln mit den Armen über dem Kopf, vor Angst und tödlicher Spannung bricht ihnen der Schweiß am Kopf und an den Geschlechtsteilen aus, und nichts anderes will der Mann auf dem Bulldozer. Er weiß genau, was hier vorgeht – alle wissen es inzwischen, von den Vorarbeitern bis zu den Vermessungstechnikern –, und sein Ziel ist es schlicht und einfach, sie einzuschüchtern. Die vielen vibrierenden Tonnen von blinkendem Stahl in voller Bewegung, die riesigen Gleisketten, die sich in die Straße fressen, und der Lärm dieses Dings, das immer noch mit Höchstgeschwindigkeit auf sie zudonnert. Tierwater kann die Augen des Wahnsinnigen am Schalthebel nicht sehen – eine Sonnenbrille, er trägt eine verspiegelte Sonnenbrille, die ihn insektenhaft und böse wirken läßt, keine Gnade, kein Einspruch –, und auf einmal ist er fuchsteufelswild, bereit zum Morden: das alles ist ein krankes Spiel. Im allerletzten Moment reißt die grobknochige Hand einen Hebel
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