Ein Freund der Erde
er ist nicht der Feind. Die Feinde sind seine Chefs.
»Wir lassen euch hier nicht durch«, verkündet Teo, und da steht er, als in den Boden getriebenes Muskelbündel verankert er das andere Ende der Menschenkette. Ihm fehlt eigentlich nur noch die Leber auf dem Kopf.
Auch die anderen zwei haben sich jetzt aus dem Wagen gezwängt, von der Arbeit gegerbte Typen mit unförmigen Bäuchen und völlig verständnislosen Mienen. Sie glotzen sie einfach nur an.
»Was seid ihr denn für welche?« will der erste wissen, der Fahrer in dem ausgebleichten Karohemd. »Umweltschützer oder so was?« Er hat schon alles gesehen: Hausfrauen, Priester, Schulkinder, Drogensüchtige, Säufer, Exknackis, Pferdejockeys, Ballkünstler, vielleicht sogar sexuell abartige Typen, aber seinem zögerlichen Frageton hört man an, daß er noch nie im Leben von Angesicht zu Angesicht dem Teufel gegenüberstand.
»So ist es«, sagt Tierwater total radikalisiert, er hat sich in acht Monaten vom Bürohengst zum Freiluftagitator verwandelt, »und ihr solltet besser selbst welche werden, wenn ihr im nächsten Jahr oder auch nur im nächsten Monat eure Jobs noch haben wollt.« Er hebt den Blick auf die Palisadenwand der Stämme, auf die wie zu einer Decke gewirkten Nadeln, durch die Kronen und Knorren pirscht sich die Sonne auf ihrer langsamen Wanderung, und dann sieht er wieder in diese stumpfen Augen. Und es ist seltsam: er liegt nicht in seinem Bett und träumt, sondern steht am Ende der Welt mitten auf der Straße in einem Betongraben, hat Windeln in der Hose und hält eine Rede – und das um halb acht Uhr früh.
»Was werdet ihr wohl fällen, wenn alle Bäume hier weg sind? Glaubt ihr, eure Bosse interessiert das? Oder daß die Börsenspekulanten und die andern Schnösel in New York sich einen Dreck um euch oder eure Kinder oder die Sägewerke oder die Bäume oder irgendwas anderes scheren?«
»Oder um eure Rente«, wirft Teo noch ein. »Was ist mit der Rente? Hä? Ich versteh dich nicht. Rede mit mir. Sag was, Mann, los doch: rede mit mir !«
Er hält nicht viel vom Reden, der Mann, und vom Reden mit Umweltschützern schon gar nicht. Eine lange Weile starrt er die Szene einfach nur an – Tierwater, Sierra, Andrea und Teo, die sich an den Händen fassen, und den befremdlichen Betonstreifen, der sie an den Knöcheln festhält. »Ich scheiß auf euch«, sagt er schließlich, und in einer konzertierten Aktion quetschen sich er und seine Kollegen wieder in den Wagen, dessen Motor gleich darauf röhrend anspringt. Reifen und Keilriemen quietschen, dann ist der Rückwärtsgang drin, der Wagen ruckt herum und donnert auf der Straße zurück in die Richtung, aus der er kam. Zurück bleibt eine Staubwolke. Und die Moskitos. Und die Sonne, die sich durch die Bäume bohrt und die ersten strahlenden Eindrücke auf ihren Gesichtern, ihren Händen und ihrer glanzlosen schwarzen Baumwoll-Polyester-Kleidung hinterläßt.
»Ich habe Hunger. Ich bin müde. Ich will nach Hause.«
Seine Tochter hockt auf ihrem Eimer, schlaff wie ein wirbelloses Tier, und sie hat ja versucht, Mut aufzubringen, eine Erwachsene zu sein und zu zeigen, daß sie genausogut eine Barrikade halten kann wie die anderen, aber sie schafft es nicht. Die Sonne brennt bereits heiß, obwohl es auf Tierwaters Uhr gerade erst zehn vorbei ist, und sie haben längst ihre Sweatshirts abgelegt. Die Mützen tragen sie noch, als Sonnenschutz, sie haben aus den Wassersäcken getrunken und die Sandwiches verzehrt, die Andrea in weiser Voraussicht mitgebracht hatte, und jetzt bleibt nur noch das Warten. Das Warten auf die Konfrontation, den Höhepunkt, die Reporter und Fernsehteams, den Sheriff und seine Deputys. Tierwater stellt sich die Gefängniszelle vor, kühle Schatten, die über die Wände tanzen, das Geräusch einer Toilettenspülung, ein Feldbett, um sich darauf auszustrecken. Und dort werden sie gerade mal ein Schläfchen halten können, keine Angst, kein Problem, die Ereignisse werden sich überstürzen – sie werden auf Kaution frei sein, ehe der Nachmittag vorbei ist, die E.F.!-Anwälte stehen in den Startlöchern, jeder ist auf seinem Platz. Das heißt: bis auf den Sheriff. Was den wohl aufhält?
»Wie lange noch, Andrea? Wirklich. Weil ich es wissen will, und komm mir nicht so von oben herab.«
Er möchte ihr sagen: Ist ja okay, Kleines, es ist bald vorbei , aber er ist nicht allzugut im Trösten, nicht einmal, wenn es die eigene Tochter ist – Kopf hoch, das ist seine Devise. Zähne
Weitere Kostenlose Bücher