Ein Freund der Erde
Investieren besaß, jeder Penny, den ich mal verdient habe, und alles, was mir mein Vater hinterlassen hat, an Andrea und Teo und meine glutäugigen Kumpane von Earth Forever! gegangen. (Nie davon gehört? So eine radikale Umweltgruppe in den Achtzigern und Neunzigern. Bekannt für das Spicken von Bäumen mit Stahlnägeln. Öko-Sabotage. Earth Forever! Fällt der Groschen?)
Sie dauert lange, diese Minute; ich kaue die Dinge durch und zögere das Unvermeidliche hinaus, wie es alte Leute eben tun (dabei bin ich so alt auch nicht, bei all dem medizinischen Fortschritt, der über uns hereingebrochen ist – persönlicher DNA-Code, Telomerasebehandlungen und Epidermisauffrischungen, die ich dank der Großzügigkeit von Maclovio Pulchris reichlich genutzt habe), und dann denke ich mir: Zum Teufel mit der Würde, ziehe die Stiefel aus, stopfe die Socken tief in die Spitzen hinein und rolle die Hose an meinen dürren Beinen hoch. Bis zu den Schienbeinen tauche ich ein in das badewannenwarme Wasser, klemme mir die Stiefel unter den Regenmantel, ziehe die Baskenmütze gegen den Wind in die Stirn, und los geht’s über den Parkplatz. Fast macht es sogar Spaß, das Planschen, soviel Wasser dort, wo es nicht hingehört, und es erinnert mich an ein Erlebnis vor fünfundsechzig Jahren, den Hurrikan Donna und einen schulfreien Tag in Peterskill, New York, auch so eine Riesenplanscherei. (Früher dachten die Leute ja, der Zusammenbruch der Biosphäre wäre das Ende von allem, aber weit gefehlt! Genau das Gegenteil ist der Fall – es gibt einfach von allem noch mehr: mehr Sonne, Wasser, Wind, Staub und Schlamm.)
Ich stehe unter der Behelfsmarkise (dickes Stahlblech, aufgeschweißt auf Stahlpfeilern, die mit Betonsockeln im Boden verankert sind) und versuche gerade auf dem einen bloßen Fuß zu stehen, während ich dem anderen Socke und Stiefel überstreife, da fliegt die Tür auf und zwei Betrunkene, so rot im Gesicht und auf den blasigen nackten Armen, als wären sie in einem Tandoori-Ofen gebacken, torkeln heraus und glotzen in den Regen. »Mist«, sagt der zu meiner Rechten, und ich spähe an ihm vorbei in die Kneipe hinein, um zu sehen, ob Andrea schon da ist, »da können wir ebensogut noch einen trinken.« Sein Begleiter blinzelt die Sintflut an, als hätte er noch niemals Wasser gesehen – und vielleicht ist es so, vielleicht stammt er aus Brasilien oder Neuseeland oder einem der anderen Wüstenstaaten –, dann sagt er: »Geht nicht. Muß nach Hause zu« (man setze einen Vornamen ein) »und den Kindern und dem Hund und den Ratten auf dem Dachboden... aber scheiß auf dieses Wetter, echt zur Hölle damit!«
Ich atme tief durch, mogle mich an ihnen vorbei und betrete das Restaurant. An dieser Stelle sollte ich wohl sagen, daß Swensons Kneipe nicht gerade der eleganteste Laden ist – Eleganz ist nur was für die Reichen: Computerreparaturtypen, Filmheinis, Popstars wie Mac –, aber sie hat ihre Reize. Der Eingang gehört allerdings nicht dazu. Gleich rechts ist ein leeres Aquarium in einem Zementblock eingemauert, links befinden sich Garderobenhaken und ein Schirmständer. Musik dringt auf einen ein – Oldies, die ehrwürdig ergrauten, unentrinnbaren Hits der Sechziger, mörderisch aufgedreht für taube und zahnlose Zeitgenossen wie mich –, dazu ein Gemisch von Körperdüften und eine Feuchtigkeit, wie man sie eher im schwarzen Loch von Kalkutta erwarten würde. Keine Klimaanlage natürlich, bei den Stromsperren und dem schlicht astronomischen Preis pro Kilowattstunde. Geradeaus liegt die Bar, links ist der Speisesaal, getäfelt mit nicht zueinander passenden Kiefernbrettern, die aus den klassischen kalifornischen Ranchhäusern zusammengesammelt wurden, bevor die sich dem historischen Imperativ der Minieinkaufszentren und Apartmenthäuser ergaben. Ich gehe geradeaus, an der Bar herrscht Hochbetrieb, Shiggy sieht kurz von seinem Mixbecher auf und nickt mir zu, aus den gepeinigten Lautsprechern quillt irgendein antiquierter Quatsch von wegen man solle sein Pony reiten.
Keine Andrea. Ride your pony, ride your pony . Mein Ellenbogen findet die Theke, der billige Sake (schmeckt nach Maschinenöl, die Destille ist im Ort) findet mich, und ich schaue mich noch einmal um. Ich nehme sogar die Brille runter und wische sie am Ärmel ab, eine Geste, die mir so vertraut wie das Atmen ist. Setze sie wieder auf. Mustere die Gesichter jetzt ganz genau, tilge Falten, Alters- und Leberflecken, zieheMünder und Augen aus ihren Furchen
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