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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Prozente bezahlt, bekommst du zehn, und sie behalten fünf. Wenn er nicht zahlt, dann verkaufen sie seine Hütte oder seine Garage. Dann kriegst du gleichviel deine zehn Prozent und sie zweihundert. Aber das ist ihre Arbeit, während du keinen Finger rührst. Du sitzt nur da und liest Bücher. Na?«
    Ich nickte und versprach, mir das zu überlegen.
    »Wann fängst du endlich an, wie ein normaler Mensch zu leben«, bemerkte Dima völlig friedfertig und goß ein zweites Glas ein.
    Es war noch hell, als ich nach Hause zurücckam. Ich zog den ›Restbetrag in Dollar‹, den mir Dima zurückgegeben hatte, aus meiner Tasche und legte ihn auf den Küchentisch. Dann zog ich mich aus.
    Ab sofort mußte ich die Dunkelheit fürchten. Das hatte ich schon begriffen.
    In der von mir selbst geschaffenen Situation lag ein gewisser bitterer Humor. Aus Zufall war ich am Leben geblieben, aber gleichzeitig ging auch die von mir selber organisierte Jagd auf mich weiter, und ich wußte nicht, wie das rückgängig zu machen wäre. Und konnte man es überhaupt rückgängig machen?
    Könnte ich Dima alles erzählen? Dann würde er vielleicht Kostja oder irgendwem sonst was dazuzahlen, damit sie ihr Werk vollendeten. Denn das hieße ja, daß ich ihn mit dem Liebhaber meiner Frau angeschmiert hatte, daß ich Kostja angeschmiert hatte, daß ich mit ihnen wie mit Schachfiguren gespielt hatte.
    Nein, ich mußte einen anderen Ausweg finden oder das Spiel in die Länge ziehen und auf diese Weise Tag für Tag mein Leben verlängern. Aber das gefiel mir auch nicht. Obwohl ich jetzt mit jedem Tag mehr an meinem Leben hing.
    Auf der Straße wurde es schon dunkel. Ich hatte Lust, zum Kreschtschatik zu fahren, Lena zu suchen und sie mit nach Hause zu nehmen. Aber noch mehr Lust hatte ich, am Leben zu bleiben. So setzte ich mich einfach auf den Stuhl neben dem Telefon und wartete auf ihren Anruf.
    Tatsächlich rief sie etwa nach einer halben Stunde an. Und sie war sogar einverstanden, zu mir zu kommen, nur bat sie, ich möge sie an der U-Bahn abholen. Das versprach ich, und erst danach, als ich schon aufgelegt hatte und ich nur noch eine halbe Stunde Zeit hatte, um sie abzuholen, fiel mir ein, wie leichtsinnig ich mein Versprechen gegeben hatte. Offensichtlich steckte immer noch nach alter Gewohnheit ein Sicherheitsgefühl in mir. Und diese Gewohnheit war so groß, daß ich selbst beim Anziehen noch keine Angst davor hatte, auf die abendliche Straße zu gehen, wo hinter jedem beliebigen Baum oder jeder beliebigen Ecke ein junger Mann in einer schwarzen Lederjacke auf mich warten konnte.
    Aber bereits auf dem Weg zur Autobushaltestelle fühlte ich die Angst mit Haut und Haaren. Und meine Ohren nahmen die gewöhnlichsten abendlichen Geräusche mit verstärktem Argwohn wahr.
    Die etwa zweihundert Meter von meinem Hauseingang zur Bushaltestelle raubten mir meine Energie, Schweiß trat auf die Stirn, als wenn ich diese Entfernung nicht normal gelaufen, sondern mit letzter Kraft gerannt wäre. Im Autobus atmete ich auf. Bis zur U-Bahn waren es zehn Minuten Fahrt.
    Als ich untergehakt mit Lena von der Autobushaltestelle nach Hause zurücckehrte, fühlte ich mich sicherer. Zu zweit war es nicht so unheimlich.
    Wir liebten uns die ganze Nacht – mit Pausen für Gespräche im Dunkeln. In dieser Dunkelheit fühlte ich mich sehr wohl, selbst wenn wir beide schwiegen und uns nur aneinanderschmiegten.
    »Würdest du mich heiraten?« fragte Lena plötzlich ironisch.
    »Nein«, antwortete ich. »Ich würde dich eher adoptieren.«
    »Dann würden sie dich ins Gefängnis stecken«, lachte Lena.
    Und ihr helles, von der Dunkelheit ein wenig gedämpftes Lachen klang heiter und beruhigend.
    Schon gegen Morgen, als sie friedlich und wie ein Kind zu einem Kringel zusammengerollt schlief, dachte ich lange darüber nach, weshalb ich mein Selbstvertrauen in den Momenten zurückgewann, wenn ich mit Lena zusammen war. Wahrscheinlich empfand ich sie als eine Art Schutzengel oder als eine Mischung zwischen diesem Engel und einem Bodyguard. Ihre guten Gefühle beschützten mich, schufen so etwas wie eine unsichtbare Schutzschicht um mich herum. Als wäre sie meine Biosphäre. Offensichtlich verspürte sie dasselbe mir gegenüber.
    »Mein Bodyguardengel …«, flüsterte ich und lächelte. Diese Kombination gefiel mir, sie vereinigte das Gute und den Schutz, das Gute und die Kraft in sich.
    Ich streckte die Hand nach ihr aus, ohne auf ihre schläfrigen Proteste zu achten, drehte sie zu

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