Ein Freund des Verblichenen
dann käme man zu dem Schluß, daß sein früher Tod viele Leben gerettet hat. Aber das war reiner Betrug, sein Tod sicherte nur anderen Spezialisten dieser Branche zusätzliche Aufträge.
Ich rührte einen Kleister aus Mehl an, verstopfte die Ritzen in den Rahmen mit Schaumstoff und beklebte sie mit ausgeschnittenen Zeitungsstreifen. Nach einer halben Stunde war das Werk vollendet. Der Luftzug verschwand, trotzdem war es noch nicht wärmer. Aber alles braucht seine Zeit, besonders die Heizkörper in meiner Wohnung, bis sie endlich die Luft erwärmten.
Ich trank Tee. Draußen zog sich ein langer Winterabend hin, frostig und ungemütlich.
Morgen früh werden sich die Kinder fröhliche Schneeballschlachten liefern, und die Erwachsenen werden die Polizei rufen, damit sie den an der Autobushaltestelle erfrorenen Betrunkenen mit dem Auto abholen. Und der kurze Wintertag eilte weiter voran.
Ich saß am Küchentisch, trank Tee und wartete, daß der Winter vorüberginge, wie die Schiffer vor ihrem Auslaufen auf den Schollengang warten, um wieder auf dem Fluß fahren zu können.
Woran mochte Kostjas Frau, oder besser gesagt seine Witwe, jetzt wohl denken? Vielleicht sah sie auch aus dem Fenster? Und daneben schlief das Kind, das zu klein war, um sich an seinen Vater zu erinnern. Es hat es sicher warm, ist gut zugedeckt. Aber der Frau ist kalt. Ihr ist kalt und einsam zumute …
Vielleicht lerne ich sie ja eines Tages kennen. Sozusagen zufällig. Ich habe schließlich ihr Foto und ihre Adresse. Sie kennenlernen und ihr helfen. Nur wie?
Und was macht jetzt meine Frau? Wo ist sie? Mit wem?
Nein, das interessierte mich wirklich nicht mehr. Meine Frau war sicher nicht einsam.
Die Müdigkeit legte sich wie ein schwerer Mantel auf meine Schultern.
Die Grenze zwischen einem Winterabend und einer Winternacht war nicht zu unterscheiden.
Ich sehnte mich nach Wärme und ging schlafen.
22
Es vergingen einige Tage. Meine Wohnung wurde warm, und wenn ich jetzt aus der Kälte von minus 15 Grad nach Hause kam, war es warm und gemütlich. Der gewaltige Temperaturunterschied auf den beiden Seiten der Fensterscheiben hielt mich fast die ganze Zeit drinnen fest. Aber drinnen war es langweilig, das Leben beschränkte sich auf Teetrinken und das Lesen der kostenlosen Anzeigenblätter. Die Tage waren mit Warten ausgefüllt, aber warten konnte ich nur auf eins – auf einen Anruf von Lena. Das letzte Mal hatten wir uns vor mehr als einer Woche gesehen. Gewöhnlich rief sie gegen Abend an, aber dieses Mal klingelte das Telefon mittags. Sie sagte, daß sie stark erkältet sei und zu Hause im Bett läge. Sowie sie gesund wäre, würde sie wieder anrufen.
Ich war noch gar nicht dazu gekommen, mich gebührend über meine sich hinziehende Einsamkeit zu grämen, als das Telefon wieder klingelte.
Es war Dima.
»Komm abends vorbei. Wir wärmen uns ein bißchen auf«, sagte er.
Gegen acht schlossen wir seinen Kiosk. Dima deckte den üblichen Tisch, machte den Kassettenrecorder an und goß uns Limonenwodka in die Gläser.
Im Kiosk war es warm, an der Wand stand ein rotglühender elektrischer Kamin.
»Weißt du, was mit Kostja passiert ist?« fragte Dima nach dem zweiten Glas.
»Ich habe es in den ›Kiewer Nachrichten‹ gelesen.«
»Er ist jetzt dein Schuldner«, sagte Dima. »Die Arbeit hat er nicht erledigt …«
Ich winkte mit der Hand ab.
»Davon kann keine Rede sein. Er ist ja nicht mehr da …« Ich sprach vorsichtig, horchte auf den Ton meiner Stimme, ob nicht ein falscher Ton mitschwang. »Und jetzt ist es auch nicht mehr nötig …«
Dima sah mir angespannt in die Augen, leckte mit der Zunge seine dicken Lippen, als wären sie ausgetrocknet. Einen Augenblick lang erschrak ich vor seinem Blick. Es schien mir plötzlich, als ob Dima etwas wüßte. Vor Schreck goß ich mir ein Gläschen außer der Reihe ein und trank es in vier Schlückchen.
Dima griff in die Innentasche seiner Jeansjacke. Seine Hand kramte da so lange herum, daß mir meine eigene Nervosität auf die Nerven ging, und ich beschloß – komme, was da wolle! Wenn er mich mit Fragen in die Ecke treiben würde, würde ich nichts abstreiten.
Endlich zog er die Hand wieder aus der Tasche, und ich sah ein Päckchen Dollar in seiner Hand. Er legte die Dollar auf den Tisch und sah mir wieder angespannt in die Augen.
»Kostja und ich haben auf Vertrauensbasis gearbeitet. Er hat von mir nie Geld im voraus genommen. Wenn du willst, kann ich mit jemand anderem reden
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