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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Lebens wieder herstellte. Ich freute mich für sie. Und für mich, wegen meiner Befreiung. Aber da ich charakterlich ein weicher Mensch bin, litt ich sehr unter meiner Einsamkeit, litt unter der Abwesenheit einer Frau, der ich mich, ohne es zu merken, unterordnen würde. Auf diese Weise hat das russische Volk immer unter der Abwesenheit eines guten Zaren gelitten. Ich stellte mir diese Frau weich, gütig und klug genug vor, um meine Unterordnung unter ihre eigenen Wünsche zur Quelle meiner Freude und Zufriedenheit zu machen.
    So verlor die Einsamkeit an Schwere, verwandelte sich in Zurückgezogenheit, und die Zurückgezogenheit – seit eh und je die den Mönchen liebste Daseinsform – ermöglichte das Nachdenken und die Vervollkommnung seiner selbst. Zwar hatte ich nicht vor, mich selbst zu vervollkommnen, ich gehörte zu der Kategorie von Menschen, die es vorziehen, vom Leben erzogen zu werden, aber am
    Nachdenken hatte ich tatsächlich Spaß.
    Und draußen fiel der Schnee.
    Ich trank Kaffee und dachte weiter über die Natur der Wünsche nach, freute mich über die unverhofften Schlußfolgerungen, als wären diese Schlußfolgerungen ein Beweis für die Ungewöhnlichkeit meines Verstandes.

31
    Am Abend fuhr ich zu Marina. Ich war in gehobener Stimmung. Ich geriet auch noch in eine halbleere Straßenbahn, fand einen Sitzplatz und betrachtete die vorbeigleitende winterliche Stadt, die Stadt, in der ich mit Vergnügen wiedergeboren werden wollte, ohne zu befürchten, die Fehler des ersten Lebens zu wiederholen. Mir war ungewöhnlich leicht zumute. Selbst in der Luft spürte ich das Nahen eines Festtages, als wenn die Straßenbahn mich zu einem Straßenfest brächte oder wenigstens zu unserem nationalen Volksfeiertag.
    Das Ende des Jahres war nicht mehr fern, und die heutige Einladung zum Abendessen war wie der Beginn einer ganzen Serie von Feiertagen, die ganz logisch in das Neujahrsfest übergehen würden.
    ›Es wäre schön, mit Blumen zu kommen‹, dachte ich, wohl wissend, daß ich unterwegs nirgends Blumen kaufen konnte.
    Marina begrüßte mich mit einem Lächeln. Unter der Garderobe lagen schon Pantoffeln für mich bereit, die ich gleich anzog.
    Der Tisch war im ersten Zimmer gedeckt. Nichts erinnerte an ein romantisches Abendessen. Keine Kerzen auf dem Tisch. Alles ackurat gedeckt, ein Teller mit Wurst- und Käsescheiben. Der zweite, warme Gang war noch in der Küche, eine Flasche Rotwein stand schon auf dem Tisch, aber sie war noch nicht geöffnet – die wartete auf mich.
    Plötzlich bemerkte ich, daß das Kinderbett fehlte. Marina ging in die Küche, und ich guckte aus Neugier in das Schlafzimmer – das Bettchen stand jetzt dort.
    Ich hatte das seltsame Gefühl, daß ich bei Kostja und nicht bei Marina zu Besuch war. Einfach, als wäre er irgendwo aufgehalten worden und wir hätten beschlossen, nicht auf ihn zu warten. Und ganz unvermittelt kam ein Schuldgefühl in mir hoch. Und es provozierte wie von selber die Frage: ›Wie kannst du in dieses von dir zerstörte Heim gehen?‹ Aber mich erschreckte diese Frage nicht, als hätte ich eine starke psychische Immunität. Ich erinnerte mich einfach daran, daß ich eine Schuld bezahlte.
    In diesem Moment kam Marina ins Zimmer. Sie stellte eine große Schüssel mit Fleischklößen und
    gekochten Kartoffeln auf den Tisch.
    »Oh! Brot!« erinnerte sie sich.
    »Ich schneide das Brot!« Meine Stimme klang hart, und ich folgte ihr in die Küche.
    Dann fand sie einen Korkenzieher, ich machte den Wein auf und goß uns ein. Ich nahm das Glas in die Hand, spürte jedoch augenblicklich eine große Verwirrung. Die Situation erforderte einen Toast, aber mir schien plötzlich, daß es ungehörig wäre, in dieser Wohnung einen Toast auszusprechen, so ungehörig wie Scherze auf einer Beerdigung. Und ich ließ meinen Blick wieder über die Wände schweifen, auf der Suche nach irgendwelchen Anzeichen von Trauer, einem Trauerflor, einer Fotografie …
    Ich erinnerte mich, daß ich hier schon vergeblich nach einer Fotografie von Kostja gesucht hatte. Und wieder das Gefühl, daß er lebte und gleich kommen würde. Nicht ohne Grund bezeichnete sich Marina bis jetzt als Kostjas Frau und nicht als seine Witwe.
    Ich erhob das Glas und merkte, daß meine Hand zitterte. Marina sah mich irgendwie verwundert an und hielt das Weinglas ebenfalls in der Hand. Schließlich sagte sie: »Na dann, auf das kommende neue Jahr!«
    Und ich stimmte freudig diesem Toast zu, wir stießen an, und der

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