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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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gelang mir nicht.
    »Und die Torte?« fragte sie. »Ich habe schließlich den halben Tag in der Küche verbracht …«
    Ich gab mich geschlagen und setzte mich auf meinen Platz. Zur Torte reichte Marina Tee und Likör. Sie stellte kleine Gläschen auf den Tisch.
    Gegen Mitternacht ging ich dann. Zum Abschied küßte sie mich auf die Wange. Sie bat mich, sie anzurufen, und ich erwiderte, ich hätte ja ihre Telefonnummer gar nicht. Sie holte einen Bleistift und schrieb mir ihre Nummer auf einen kleinen Jahreskalender.
    Erst zu Hause bemerkte ich, daß es ein Kalender für das nächste Jahr war.

32
    Das Jahr ging zu Ende, begleitet von Schneefällen, aber der Schnee blieb nie lange liegen.
    Nach einigen Tagen rief Marina abends an und bat mich, ihr meine Adresse durchzusagen, sie wolle mir einen Neujahrsgruß schicken. Ich gab sie ihr. Aber dann stiegen schreckliche Zweifel in mir hoch. ›Und wenn sie plötzlich‹, dachte ich, ›unverhofft vorbeikommen sollte, um mich zu überraschen?‹
    Mit einem Blick überprüfte ich den Zustand meiner Wohnung und begriff, daß es höchste Zeit war, Ordnung zu machen, die überall herumliegenden Zeitungen, Zeitschriften und alle möglichen Sachen aufzuräumen. Und während ich darüber noch nachdachte, hatte ich schon begonnen, die Zeitungen und Zeitschriften auf einen Haufen zu stapeln. Nach ein, zwei Stunden sah die Wohnung schon ganz zivilisiert aus, und es war sogar Staub gewischt.
    Jetzt war ich sogar neugierig, ob sie käme. Und wenn ja, wann?
    Wenn sie bloß nicht auf Lena träfe. Dann würde sich Lena noch was dabei denken … Obwohl … Das Leben ist eine Suche, und diese Suche steckt wohl in jeder Handlung eines Menschen.
    Aber der Tag verging, ein zweiter, und es kam niemand. Am dritten Tag erhielt ich einen Brief.
     
    Lieber Tolja
    Dank Dir dafür, daß Du meine Einladung neulich angenommen hast. Mir hat unser Abendessen sehr gefallen, es war so etwas Herzliches und Warmes in der Atmosphäre. Ich habe schon lange nicht mehr für jemanden gekocht, und für mich allein zu kochen ist einfach langweilig.
    Es wäre sehr schön, wenn wir uns wieder treffen und einen Abend miteinander verbringen könnten. Sicher hast Du nicht so viel Zeit, und sicher hast Du viele Freunde, aber ich habe mich trotzdem zu diesem Brief entschlossen, um Dich für Sylvester zu mir einzuladen. Du verstehst, daß ich jetzt keine Lust auf große Gesellschaften habe. Aber mit Dir ist es schön, Du bist sehr lieb und aufmerksam. Wenn Du natürlich schon andere Pläne hast, ist es auch nicht schlimm. Ruf mich in jedem Fall an.
    Marina
    Als ich den Brief gelesen hatte, fiel mir plötzlich auf, daß ich noch überhaupt nicht ernsthaft darüber nachgedacht hatte, wie ich Sylvester feiern wollte. Sicher hatte ich trotz allem mit einem stillen gemütlichen Festabend zu zweit mit Lena gerechnet. Aber ich hatte sie noch nicht danach gefragt. Und das müßte ich tun. Sie hatte aber auch schon eine Woche nicht angerufen. Das hieß im übrigen, wenn nicht heute, dann würde morgen ihr Stimmchen im Telefonhörer erklingen. Natürlich nur, wenn keine radikale Veränderung in ihrem Lebensstundenplan aufgetreten war.
    Ich legte die Corelli-Kassette ein. In der Musik wehte ein Hauch von Frühling. Es schien, als wäre das Jahr schon vergangen und alles Schlechte vergessen. Und vor uns das Leben, gleichsam von Anfang an, von einer eigentümlichen Stunde Null an.
    Vom Guten zum Guten, von Lächeln zu Lächeln. Alles, jeder Gedanke, jede Bewegung in Romantik eingehüllt, die Welt wäre ideal und naiv wie ein Ausländer. Ich lebe in dieser Welt und entspreche ihr. Ein guter unsichtbarer Zensor hat alles Überflüssige aus meiner Lebenserfahrung herausgerissen, alle schwarzen Seiten, und ich entsprach einem beliebigen positiven Helden der sowjetischen klassischen Literatur. Nur ohne Heroismus in der Seele und in der Biografie. Ohne Pathos und ohne Stolz auf mein geheimnisvolles Volk und mein Vaterland. Und alle in dieser Welt waren mit einer glücklichen Vergangenheit vereinigt.
    Ich las noch einmal den Brief und dachte, daß er in Wirklichkeit viel mehr war als eine einfache Neujahrseinladung. Dieser Brief war ein Zeichen von Zuneigung zu mir, und das empfand ich als sehr angenehm. »Lieb und aufmerksam« – ich fühlte mich geschmeichelt und dachte mit Dankbarkeit an Marina.
    ›Irgend jemand wird schon an seine Stelle treten‹, hörte ich von irgendwo weit her Dimas höhnische Stimme.
    ›Ja und?‹ dachte ich.

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