Ein froehliches Begraebnis
Pforte aus weißen Latten blieb sie stehen.
Mickys Mutter Rachel sann seit dem Morgen über einen wunderbaren Traum nach, den sie vor dem Aufwachen gehabt hatte: Sie hatte in einem weißen Gartenhäuschen, das es in ihrem Garten in Wirklichkeit gar nicht gab, ein niedliches, molliges kleines Mädchen gefunden, und dieses Mädchen hatte ihr etwas Wichtiges und sehr Angenehmes gesagt, obwohl es noch ganz winzig war und so kleine Kinder in Wirklichkeit noch nicht sprechen können. Aber was sie gesagt hatte, daran konnte sich Rachel nicht mehr erinnern.
Als sie sich nach dem Mittag hinlegte, versuchte sie, sich das zugige Häuschen und das mollige Mädchen wieder in Erinnerung zu rufen, damit sie erneut von ihm träumte und es ihr das Wichtige sagen konnte, was es im Morgengrauen nicht ausgesprochen hatte. Aber das Mädchen tauchte nicht wieder auf, und überhaupt hatte es überhaupt keinen Zweck, darauf zu warten, denn am Tag träumte Rachel nie.
Jetzt ging sie zum Tor, leicht humpelnd, eine Jüdin mit einfachem Gesicht, unter den runden Augen dunkle Ringe von jahrelanger Schlaflosigkeit, und musterte die vor dem Tor stehende Frau mit dem Köfferchen.
»Guten Tag! Kann ich Micky sprechen?« fragte die Frau.
»Micky?« fragte Rachel erstaunt zurück. »Der wohnt nicht hier. Er wohnt in New York. Aber er ist gestern nach Kalifornien gefahren.«
Valentina stellte den Koffer ab.
»Merkwürdig. Er hat versprochen, mich abzuholen, ist aber nicht gekommen.«
»Ach! Typisch Micky!« Rachel winkte ab. »Woher kommen Sie?«
»Aus Moskau.«
Valentina stand vor dem weißen Tor, und Rachel erkannte auf einmal: Das weiße Häuschen aus ihrem Traum war gar kein Häuschen, sondern dieses Tor, und das mollige Mädchen, das war diese Frau hier, auch sie war mollig.
»Mein Gott! Und meine Eltern sind aus Warschau!« rief sie erfreut, als seien Moskau und Warschau benachbarte Straßen. »Kommen Sie doch herein!«
Ein paar Minuten später saß Valentina an einem niedrigen Tisch im Wohnzimmer und sah aus dem Fenster auf den sanft abschüssigen Garten; alle Bäume hatten ihr das Gesicht zugewandt und blickten aus der zunehmenden Dunkelheit ins hellerleuchtete Fenster.
Auf dem Tisch standen zwei dünne, mattglänzende Tassen, so leicht, als wären sie aus Papier, und eine grobe Teekanne aus Steingut. Das Gebäck sah aus wie Algen, die Nüsse waren rosa, dreikantig und hatten eine dünne Schale. Rachel, die Hände auf die gleiche typisch bäurische Art vor dem Bauch gefaltet, wie es Valentinas Mutter machte, sah Valentina mit freundlichem Interesse an, den Kopf mit dem grünen Seidenturban zur Seite geneigt. Es stellte sich heraus, daß die Russin Polnisch konnte, und darum unterhielten sie sich auf polnisch, was Rachel besondere Freude bereitete.
»Sind Sie zu Besuch gekommen oder zum Arbeiten?« stellte Rachel die wichtigste Frage.
»Ich bin für immer gekommen. Micky hat versprochen, mich abzuholen und mir wegen Arbeit zu helfen.« Sie seufzte.
»Sie haben ihn kennengelernt, als er in Moskau gearbeitet hat?« fragte Rachel, wobei sie ihren Kopf auf die andere Schulter warf – eine kuriose Angewohnheit.
Valentina überlegte einen Moment; sie war so müde, daß sie keine Kraft mehr hatte für ein mondänes Gespräch auf polnisch mit ein paar Schwindeleien hier und dort, und sie sagte:
»Ehrlich gesagt, Micky und ich sind verheiratet.«
Rachel schoß das Blut ins Gesicht. Sie rannte aus dem Wohnzimmer, und durch das ganze Haus gellte ihr Schrei:
»David! David! Komm her, schnell!«
David, ihr Mann, ebenso groß und mager wie Micky, in einer roten Hausjacke und mit einer Jarmulke auf dem Kopf, stand oben an der Treppe. In der Hand hielt er einen dicken Kugelschreiber.
Was ist los? fragte er durch seine ganze Haltung, aber wortlos.
Sie waren ein wunderbares Paar, Mickys Eltern. Jeder hatte im anderen gefunden, was ihm selbst fehlte, und war entzückt von seinem Fund. Vor ein paar Jahren, als die beiden auf die Sechzig zugingen und damit auf die äußerste Grenze ehelicher und menschlicher Nähe, als sie schon einem langen, glücklichen Alter entgegensahen, gewahrten sie mit lähmendem Entsetzen, daß ihr einziger Sohn sich den Regeln seines Geschlechts entzog und sich einer heidnischen Abscheulichkeit zugewandt hatte, die Rachel nicht einmal benennen konnte.
»Wir waren so glücklich, zu glücklich«, murmelte sie in ihren schlaflosen Nächten in ihrem riesigen prachtvollen Bett, in dem sie und ihr Mann seit ihrer
Weitere Kostenlose Bücher