Ein froehliches Begraebnis
CBGB, der wichtigste Musikort der Welt. In hundert Jahren werden Musikwissenschaftler Putz von diesen Wänden in goldenen Kästchen aufbewahren. Hier wird eine neue Kultur geboren, das meine ich ganz ernst. Und in der Knitting Factory genauso. Hier spielen Genies. Jeden Abend Genies.«
Aus der ramponierten Tür kam ein schmächtiger schwarzer Junge in einem weiß-rosa Mantel gestürmt. Alik begrüßte ihn:
»Ich hab’s doch gesagt! Das ist Boobi, Flötist. Jeden Abend spielt er mit dem lieben Gott. Ich hab gerade eine Karte für sein Konzert gekauft. Bin extra deswegen hergekommen. Meine Frau kommt nicht mit, sie mag diese Musik nicht. Wenn du willst, nehme ich dich mit.«
»Ich kann nur sonntags«, antwortete Valentina. »Alle anderen Tage gehen bei mir von acht bis elf.«
»Du gehst ja ganz schön ran«, spottete Alik.
»Hat sich eben so ergeben. Um neun fängt meine Arbeit an, bis sechs. Um sieben Lehrgang, jeden zweiten Tag, an den anderen Tagen passe ich auf die Enkelin meiner Vermieterin auf. Um elf hab ich Feierabend, um zwölf schlafe ich. Und um drei wache ich auf und kann nicht wieder einschlafen. Ist wohl so eine Art amerikanische Schlaflosigkeit bei mir, weiß der Teufel. Um drei bin ich putzmunter. Ich hab schon probiert, später ins Bett zu gehen, nützt aber nichts – um drei ist’s vorbei mit dem Schlaf.«
»Na ja, Konzerte sind um die Zeit nicht, aber es gibt eine ganze Menge Orte, wo bis frühmorgens was los ist. Ist doch egal, wann man anfängt, warum nicht um drei.«
Damals war Nina schon eine richtige Alkoholikerin und brauchte nicht viel; sie trank im Laufe des Tages eine halbe Flasche Wodka, auf amerikanische Art mit Saft verdünnt, und nachts um eins schlief sie wie eine Tote. Alik trug sie dann aus ihrem Sessel ins Schlafzimmer, legte sich neben sie und schlief auch ein paar Stunden. Er gehörte zu den Menschen, die mit wenig Schlaf auskommen, wie Napoleon.
Das Verhältnis von Alik und Valentina spielte sich morgens von drei bis acht ab. Es begann nicht sofort, sondern erst allmählich. Es vergingen mindestens zwei Monate, bis er zum erstenmal hinunterstieg in ihren engen Keller, auf amerikanisch basement, den eine Freundin von Rachel auf deren Bitte an Valentina vermietete.
Zweimal in der Woche stand Alik kurz nach drei vor diesem Keller, beugte sich hinunter und pfiff in das schwach erleuchtete Fenster. Nach zehn Minuten kam Valentina herausgesprungen, munter und rosig, in ihrer schwarzen Trachtenjacke, und sie gingen an einen der nächtlichen Orte, die Emigranten meist nicht kennen.
In einer der kältesten Januarnächte, als Schnee gefallen war und fast eine ganze Woche liegenblieb, waren sie auf dem Fischmarkt. Buchstäblich zwei Schritte von der Wall Street entfernt brodelte hier für einige Stunden ein unglaubliches Leben. Schiffe legten an, wahrhaftig aus der ganzen Welt, und Fischer entluden ihre lebende oder, wie dieses Mal, gefrorene Ware auf Karren, auf dem Rücken oder in Körben. In den Mauern taten sich plötzlich breite Tore auf, und Lagerhallen nahmen die ganze Meerespracht auf.
Zwei stattliche Männer trugen einen langen Balken – das war ein silbriger, mit einer dünnen Eisschicht überzogener Thunfisch. Es gab auch ganz gewöhnliche, einfache Fische, aber daran blieb der Blick nicht hängen, denn auf den Tischen häuften sich in gewaltiger Fülle nie gesehene Meeresungeheuer mit furchteinflößenden Glotzaugen, mit Scheren und mit Saugnäpfen; manche schienen nur aus einem riesigen Maul zu bestehen; eine unübersehbare Vielzahl von Muscheln phantastischster Formen mit einem Häppchen zarten Fleisches im Innern; schlangenähnliche Wesen, so hübsch anzusehen, daß man unwillkürlich an Nixen denken mußte; Gebilde, von denen man schwer sagen konnte, ob es Pflanzen oder Tiere waren; und richtige Algen, ganz platt oder verschlungen wie Lianen. Und all diese Geschöpfe schillerten im weißen Lampenlicht blau, rot, grün und rosa; manche regten sich noch, andere waren schon erstarrt.
In den Durchgängen standen ein paar Eisentonnen, in denen etwas verbrannt wurde, und ab und zu wärmten sich durchgefrorene Männer dort auf. Sie waren genauso sehenswert wie die Ware, die sie brachten: Norweger mit blonden, reifbedeckten Bärten, schnurrbärtige Chinesen und Insulaner mit exotischen, archaischen Gesichtern.
Dazwischen drängten sich die Käufer – Großhändler aus ganz New York und New Jersey, Köche und Inhaber der besten Restaurants, angelockt von den
Weitere Kostenlose Bücher