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Ein froehliches Begraebnis

Ein froehliches Begraebnis

Titel: Ein froehliches Begraebnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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furchtbaren Entdeckung einander nicht mehr berührten. »Herr, führe ihn zurück zu den gewöhnlichen Menschen!«
    Und sie, ein jüdisches Mädchen, vor Gas und Feuer gerettet von Nonnen, die sie fast drei Okkupationsjahre lang im Kloster versteckt hielten, ging bis zum Äußersten, wandte sich an die Mutter jenes Gottes, an den sie nicht glauben durfte, aber dennoch glaubte: »Matka Boska, tu es, führe ihn zurück . . .«
    Die populärwissenschaftliche Aufklärungsliteratur, die leicht faßlich erläuterte, daß das, was mit ihrem Sohn passierte, nichts Besonderes war, sondern völlig in Ordnung, und daß die humane Gesellschaft ihm das Recht zubilligte, seine Ausstattung zu benutzen, wie es ihm beliebte, war für ihr altmodisches Gemüt kein Trost.
    Ihr Mann kam die Treppe herunter, sah in ihr glückliches rosiges Gesicht und rätselte, welche Freude wohl über sie gekommen war.
    Die Freude – die leider nur fiktiv war – saß im Wohnzimmer und mühte sich, die immer wieder von selbst zufallenden Augen offenzuhalten. So begann Valentinas Amerika.
    Alik regte sich, und Valentina schreckte sofort auf.
    »Was ist, Alik?«
    »Trinken.«
    Valentina hielt ihm eine Tasse an den Mund, er nippte daran und mußte husten.
    Valentina schüttelte ihn, klopfte ihm auf den Rücken. Sie hob ihn hoch – er war ganz genauso wie die Puppe, die Anka Krön gemacht hatte.
    »Warte, gleich, mit dem Strohhalm . . .«
    Er nahm noch einen Schluck Wasser und mußte wieder husten. Das war auch früher schon vorgekommen. Valentina schüttelte ihn wieder und klopfte ihm auf den Rücken. Gab ihm noch einmal den Strohhalm. Wieder verschluckte er sich und konnte sich lange nicht freihusten. Da tauchte Valentina einen Serviettenzipfel ins Wasser und steckte ihn Alik in den Mund. Seine Lippen waren trocken und rissig.
    »Soll ich dir die Lippen eincremen?« fragte sie.
    »Auf keinen Fall. Ich hasse Fett auf den Lippen. Gib mir deinen Finger.«
    Sie legte ihm einen Finger zwischen die trockenen Lippen – er berührte ihn mit seiner Zunge, fuhr daran entlang. Das war die einzige Berührung, die ihm geblieben war. Wie es aussah, war dies ihre letzte Liebesnacht. Daran dachten sie beide. Er sagte sehr leise:
    »Ich werde als Ehebrecher sterben.«
    Valentina hatte es damals so schwer wie noch nie. Nach der Arbeit fuhr sie normalerweise nicht nach Hause, sondern gleich zu ihren Lehrgängen. Doch an jenem bewußten Tag mußte sie vorher zu Hause vorbeifahren, denn ihre Vermieterin hatte angerufen und sie gebeten, sofort den Schlüssel zu bringen, es sei etwas mit dem Schloß, was genau, hatte Valentina nicht verstanden. Sie gab der Vermieterin den Schlüssel, aber auch damit ging die Haustür nicht auf. Valentina ließ die Vermieterin mit dem kaputten Schloß allein und ging, bevor sie zum Unterricht fuhr, noch in den jüdischen Imbiß um die Ecke, zu Katz. Die Preise hier waren gemäßigt und die Sandwichs mit geräuchertem Rind – und Putenfleisch hervorragend. Kraftprotze, die mit Betonklötzen hätten hantieren sollen, schnitten mit riesigen Messern virtuos das duftende Fleisch in Scheiben und unterhielten sich in ihrem lokalen Slang. Es war ziemlich voll, am Tresen stand eine kleine Schlange. Der Mann vor Valentina, dessen roter Pferdeschwanz von einem Gummi gehalten wurde, wandte sich familiär an den Verkäufer:
    »Hör mal, Micha, ich komme jetzt seit zehn Jahren her. Und du Aron, du auch, ihr beide seid in der Zeit doppelt so dick geworden, aber die Sandwichs sind jetzt zweimal dünner. Warum, he?«
    Der Verkäufer gestikulierte mit seinen nackten Armen und zwinkerte Valentina zu.
    »Das soll eine Anspielung sein, verstehst du, ja?«
    Der Mann drehte sich zu Valentina um – lachend, das Gesicht voller Sommersprossen und mit einem fröhlich abstehenden Schnauzbart.
    »Er denkt, das ist eine Anspielung. Aber das ist keine Anspielung, das ist das Geheimnis des Lebens.«
    Der Verkäufer Micha spießte ein Gürkchen auf eine Gabel, dann noch eins und legte sie neben das üppige Sandwich auf den Pappteller.
    »Hier, eine Extragurke für dich, Alik.« Dann wandte er sich an Valentina: »Er sagt, er ist Maler, aber ich weiß genau, er ist vom OBChSS (Russisch: Abteilung zur Bekämpfung von Wirtschaftsverbrechen und Spekulation.) . Die lassen mich auch hier nicht in Ruhe. Pastrami?«
    Valentina nickte, und Micha setzte das Messer in Bewegung. Der Rothaarige setzte sich an den nächsten Tisch; dort wurde gerade noch ein Platz frei, und er nahm

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