Ein froehliches Begraebnis
der Verkäuferinnen in den Bäckerläden um die Ecke, den Stuck am Haus gegenüber, das Profil des Hechts, den er 1964 im Plestschejewo-See gefangen hatte, und die krumme Kiefer, die mitten im Pionierlager in Wereja stand und aussah wie eine Leier mit abgebrochenem Arm.
Wie zum Dank für sein Gedächtnis und seine Aufmerksamkeit war die Welt ihm wohlgesinnt. Er kam in das vom Regen aufgeweichte Cape Cod, schon kroch zitternd die Sonne hervor; er brauchte nur an einem Apfelbaum vorbeizugehen, und ein Apfel, der genau auf diesen Augenblick gewartet hatte, fiel ihm vor die Füße, einfach so, als Geschenk. Das galt sogar für die Technik: Wenn er eine Telefonnummer wählte, war nie besetzt. Dabei hatte er allerdings einen kleinen Trick. Wenn ihn jemand, der von seiner besonderen Fähigkeit wußte, bat, eine ständig besetzte Nummer zu wählen, weigerte er sich manchmal stundenlang, um dann im richtigen Moment auf Anhieb durchzukommen.
Amerika reagierte mit spürbarer Freundlichkeit auf Aliks Begeisterung. Die Neue Welt war für ihn einfach atemberaubend. Sie kam ihm buchstäblich nagelneu vor. Uralte, drei Armspannen dicke Bäume bestanden aus jungem, festem Holz. Hier war alles fester, derber und haltbarer. Alik, ein Mensch aus der dritten, der russischen Welt, lernte mit dreißig Europa und Amerika kennen. Zuerst Wien, dann Rom und sämtliche italienischen Köstlichkeiten, von denen er sich fast ein Jahr lang nicht losreißen konnte. Erst als er nach Amerika übergesiedelt war und ein paar Jahre lang ununterbrochen dort gelebt hatte, verstand er den Neid der Amerikaner auf das Alte Europa, das so abgewetzt, so hochkultiviert, ja sogar erschöpft war; und ebenso verstand er Europas hochmütiges, insgeheim aber auch neiderfülltes Verhältnis zum breitschultrigen, ursprünglichen Amerika.
Alik mit seinem borstigen roten Schnauzbart und dem zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen kräftigen Haar stand zwischen beiden wie ein Schiedsrichter, und ein besserer Schiedsrichter war kaum denkbar. Er war nicht unparteiisch, im Gegenteil, er war ungeheuer und mit Leidenschaft parteiisch. Er vergötterte Amerikas Highways und die bunte, seiner Ansicht nach schönste Menschenmenge der Welt in der New Yorker Subway, Amerikas Straßenimbiß und seine Straßenmusik. Aber er bewunderte auch die kleinen runden Springbrunnen auf den kreisrunden Plätzen in Aix-en-Provence, das einen sanften Übergang von Frankreich zu Italien bildet; er liebte die romanische Architektur und freute sich über jede Begegnung mit deren Überbleibseln; er vergötterte die wie Birken – oder Ahornblätter gezackten Küsten der griechischen Inseln und das mittelalterliche Deutschland, das einem jeden Augenblick in Marburg oder Nürnberg zu begegnen versprach, dieses Versprechen aber nicht einlöste; dafür fand er alles, was er auf den Straßen vergebens suchte, in den beeindruckenden deutschen Museen, und die deutsche Kunst übertraf bei weitem die italienische Renaissance. Auch das deutsche Bier war ausgezeichnet.
Er verspürte nie die Notwendigkeit, sich für eine der beiden Seiten zu entscheiden, er stand auf seiner eigenen Seite, und die erlaubte ihm, alle gleichermaßen zu lieben.
Er murmelte etwas Karges und, wie ihm selbst schien, Nichtssagendes über Amerika und Europa und war enttäuscht, daß sein Verstand nachließ und er nicht mehr zusammenhängend und überzeugend reden konnte. T-Shirt hörte ihm aufmerksam zu und fragte dann:
»Liebst du Rußland?«
»Natürlich.«
T-Shirt ließ nicht locker. »Und warum?«
»Darum«, antwortete er schroff.
T-Shirt wurde wütend. Sie hatte noch nicht gelernt, an seine Krankheit zu denken.
»Du, du bist genau wie die anderen! Erklär mir, warum? Alle sagen, ihnen ist es dort sehr schlecht gegangen.«
Alik überlegte ernsthaft: Die Frage war wirklich nicht so einfach.
»Soll ich dir was verraten?«
T-Shirt nickte.
»Rück ein Stück näher.«
Sie hielt ihr Ohr direkt an seine Lippen und warf ihn dabei fast um.
»Keiner versteht davon auch nur die Bohne, und die Klügsten, die simulieren bloß, als ob sie es verstehen.«
»Die machen was?«
»Die simulieren. Tun so, als ob.«
»Und du? Du auch?« fragte T-Shirt und schien sich darüber zu freuen.
»Ich simuliere am allerbesten.«
Beide sahen hochzufrieden aus. Irina blickte mit eifersüchtigem Interesse zu ihnen hinüber.
12
D er Vermieter war ein echtes Ekel. Alik war ihm seit fast zwanzig Jahren ein Dorn im Auge, aber er konnte nichts
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