Ein ganz besonderer Sommer
behalten. Nachdem Bille im Kantinenzelt einen großen Teller Salat und eine doppelte Portion Eis verdrückt und dabei einige der anderen Darsteller kennen gelernt hatte, sah sie ihrem Auftritt in der Show viel gelassener entgegen.
Evelyn hatte nicht übertrieben: Das Team war wie eine große Familie. Eine Familie, die nur ein Thema hatte -ihre geliebten Pferde! Sie überboten sich gegenseitig mit Erzählungen über die vierbeinigen Darsteller und ihre Heldentaten. Es war, als gehörte Bille schon seit langem dazu. Und als sie einige von Zottels Streichen zum Besten gab - immerhin war er nicht nur ein ehemaliges Zirkuspony, sondern hatte auch schon zweimal auf der Bühne gestanden - war ihr das Interesse der Musicaldarsteller gewiss .
Bei der darauf folgenden Probe war Bille konzentriert und mit Freude dabei. Zwar ahnte sie, dass das Lampenfieber direkt vor dem Auftritt noch einmal zurückkehren würde, doch jetzt hatte sie das Gefühl, der Aufgabe gewachsen zu sein.
Diesmal probierten sie die Szene im Kostüm. Bille spielte den faulen Küchenjungen Max, der mit seinem Pony Findegut ausgeschickt wurde, im Wald nach einem besonderen Kraut für die Suppe der Feenkönigin zu suchen. Kaum waren sie unterwegs, schlief er auch schon auf dem Rücken seines Ponys ein, und sie gerieten immer tiefer in den Wald. Unversehens gelangten sie dabei in das Reich der bösen Fee. Hinter einem Strauch verborgen beobachteten sie, wie die Herrscherin der Finsternis das gestohlene Schatzkästchen mit dem Wunder-Elixier der Feenkönigin in ihrem Versteck in einem ausgehöhlten Felsen verbarg. Von den schwarzen Rittern der bösen Fee auf dem Rückweg entdeckt und verfolgt, musste Max mit Findegut zur Feenkönigin galoppieren, um ihr ihre Entdeckung zu melden, sodass die weißen Ritter der Herrscherin des Feenreichs das Kästchen zurückerobern konnten. Dafür wurden auch Max und Findegut am Ende reich belohnt.
Nach dieser zweiten Probe bekam Bille langsam ein Gefühl für den Ablauf des Stückes, und auch ihren Text konnte sie jetzt auswendig.
Am Abend wurde es dann ernst: Jetzt sollte die richtige Aufführung vor Publikum stattfinden. Billes und Zottels Auftritt erfolgte erst nach der Pause, so hatte sie Gelegenheit, sich den Anfang des Musicals von einer Seitengasse aus anzusehen. Vor einer breiten Bühne, die Raum genug für ein Vierergespann mit Kutsche bot, erstreckte sich in einem weiten Halbrund eine Art Zirkusmanege. Durch mehrere Zwischenvorhänge war man in der Lage, in Sekunden die Dekoration zu verändern. Manche Szenen benötigten nur das Halbrund der Manege, andere die volle Tiefe der Bühne dahinter. Und wo die Vorhänge nicht ausreichten, wurde der jeweilige Spielort von den Scheinwerfern so stark angeleuchtet, dass der Raum drum herum vollkommen im Dunkeln lag und unbemerkt für das nächste Bild umgebaut werden konnte. Alles war bis ins Kleinste durchdacht und geplant.
Über dem Feuerwerk aus Bildern, Musik und Lichteffekten, der Fülle von fantasievollen Kostümen und Bühnenbildern, atemberaubender Akrobatik und bewundernswerter Dressurleistungen vergaß Bille fast, dass sie selbst Teil dieser Show war. Was hatte man sich da an Szenen einfallen lassen, um jeder Pferderasse gerecht zu werden! Die Kutsche mit dem Friesengespann preschte im Galopp durch eine raue, nordische Landschaft, an deren Horizont sich eine düster wirkende Burg gegen einen wolkenverhangenen Himmel abhob. Es gab eine Szene, die in der Puszta spielte, und eine in einem russischen Bauerndorf. Die Araber durften sich in einer Wüstenlandschaft präsentieren, die sich gleich darauf in einen bunten Bazar verwandelte, mit Händlern, Wahrsagern und Bauchtänzerinnen. Die Esel traten in einer griechischen Berglandschaft auf. Von Land zu Land reisend, suchten die Elfen und Diener der Feenkönigin nach dem gestohlenen Kästchen. Die Orlowtraber schließlich, in ihrer glitzernden, reich verzierten Aufmachung mit durchsichtigen Schmetterlingsflügeln auf dem Rücken, traten im Schlosspark der Feenkönigin auf, einer Traumlandschaft, die in zartfarbenen Nebel gehüllt war.
Am meisten beeindruckte Bille die Wandlung, die sich mit Beppo vollzog. Es war nicht nur das Kostüm, das ihn zu einem anderen Wesen werden ließ: Ein wallender, schwarzblau schimmernder und reich mit silbernen Pailletten und blauen Steinen besetzter Mantel über einem schwarzen Trikot, dazu eine schwarze Lockenperücke. Auf der trug er eine Krone, die aussah, als wäre sie aus Stahl
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