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Ein ganz besonderer Sommer

Ein ganz besonderer Sommer

Titel: Ein ganz besonderer Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Caspari
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Welt.“
    Bille konnte nicht ahnen, wie anders diese Reise tatsächlich werden würde, als sie es sich vorgestellt hatte.
    Bis Berlin verlief alles wie geplant. Sie stiegen am Bahnhof Zoo aus und nahmen ein Taxi bis zu dem Treffpunkt, an dem sie in ihren Reisebus nach Polen steigen sollten. Auf dem kleinen Platz warteten bereits weitere Teilnehmer. Wie Bille feststellte, waren es ausnahmslos ältere Leute. Vermutlich waren sie alle einst aus Ostpreußen geflüchtet und wollten jetzt den Ort ihrer Kindheit Wiedersehen.
    Der Bus kam aus Westdeutschland, woher auch die übrigen Reisenden stammten. Er hatte eine Stunde Verspätung, doch man nahm es gelassen hin, denn das Wetter war gut und es waren ausreichend Bänke vorhanden, um es sich so lange bequem zu machen. Bille vertiefte sich in eines der mitgebrachten Bücher, und Mutsch kam bald mit den anderen Reisenden ins Gespräch. „Ach, aus Insterburg stammen Sie?“, mischte sie sich in das Gespräch zweier alter Damen. „Dort hatte ich eine Tante, wir besuchten sei zu ihrem siebzigsten Geburtstag. Sie starb bald nach der Flucht, wohl mehr aus Heimweh als wegen ihrer Lungenentzündung.“
    „Und wo stammen Sie her?“, erkundigte sich ein alter Herr, anscheinend der Ehemann der einen.
    „Aus Groysken , im Kreis Allenstein. Ich weiß gar nicht, wie es jetzt heißt. Ich war erst sechs Jahre alt, als wir flohen . . .“
    „Ich war acht, aber ich erinnere mich genau an die Tage der Flucht. . . Der Treck durch die eisige Kälte. Und ständig die Angst vor den Fliegerangriffen. Wenn sie kamen: Runter vom Wagen in die Chausseegräben, Deckung suchen . . . mein Gott, hatten wir eine Angst! Das Zittern, dass es uns und die Pferde nicht erwischt! Unser kleiner Hund lief in Panik fort, wir hatten keine Zeit ihn zu suchen, der Treck musste ja weiter . . . “
    Bille zwang sich nicht hinzuhören. Aber so intensiv sie sich auch auf den Buchtext konzentrierte, die Gedanken liefen ihre eigenen Wege. Treck, Kälte, Beschuss aus der Luft - von all diesen Dingen hatte Mutsch nie gesprochen. Natürlich war sie sehr klein gewesen und hatte vieles vergessen. Aber konnte man solche Dinge überhaupt vergessen?
    „Damals haben wir alle geglaubt, wir würden bald zurückkehren in die Heimat“, sagte ein sehr alter Mann. „Nach dem Krieg kommen wir wieder nach Hause und bauen alles neu auf, haben wir gesagt. Wer hätte geglaubt, dass es ein ganzes Menschenalter dauert, bis wir die Heimat Wiedersehen. Und das auch nur als Gäste. Heimat ist es jetzt für andere.“
    Bille war froh, als der Bus auf den Platz fuhr und alle nach ihrem Gepäck griffen. Schwungvoll nahm der Fahrer die Kurve und hielt abrupt bei der kleinen Gruppe. Sekunden später sprang er von seinem Fahrersitz ins Freie.
    „Tut mir Leid, Leute, dat is en bisschen später jeworden mit uns“, rief er in breitestem Rheinisch fröhlich über die Köpfe der Wartenden hinweg, „und der Herr Weber, der Reiseleiter, is auch nich mit dabei. Im letzten Moment anderswo einjesprungen . Jetzt müsst ihr mit mir vorlieb nehmen, ich bin der Harry, euer Fahrer, ihr könnt ,du‘ sagen, okay? Also, dann woll'n wir mal, auf, auf zum fröhlichen Jagen, wie es so schön heißt ..
    „Holt der auch mal Luft, wenn er spricht?“, murmelte Mutsch kopfschüttelnd. „Rheinische Frohnatur, das kann ja heiter werden.“
    „. . . ich kümmer mich um dat Jepäck , ihr könnt schon mal einsteigen“, quasselte Harry weiter, „nur nich drängeln, Herrschaften, et is Platz für alle da.“
    Kein Mensch drängelte, offensichtlich war es Harry entgangen, mit welcher Sorte Reisender er es zu tun hatte. Oder er glaubte, er müsse bei der Gruppe, die seit einer Stunde geduldig ausharrte, für gute Laune sorgen und möglichst auch den fehlenden Reiseleiter ersetzen.
    Bille wartete höflich, bis die Älteren eingestiegen waren. Mutsch war unter den Ersten gewesen und winkte ihr von einem Fensterplatz aus vergnügt zu. Bille half einem alten Herrn die steilen Stufen hinauf und sah sich um, ob noch jemand fehlte. Bis auf Harry, der mit Schwung den letzten Koffer in den Gepäckraum schob und die Klappe schloss, waren sie offensichtlich komplett.
    „Na, wat is , Mädchen, nur keine falsche Schüchternheit!“
    Schon war die rheinische Frohnatur neben ihr, nahm sie bei den Armen und hob sie hinauf.
    Schüchternheit! Bille verkniff sich eine ironische Bemerkung und löste sich aus Harrys etwas zu dauerhaftem Griff.
    „Bist du alleine unterwegs?“, erkundigte

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