Ein ganz besonderer Sommer
mitfahren“, neckte sie ihren Stiefvater. „Als Aufpasser und Beschützer, damit uns nichts passiert.“
Onkel Paul seufzte abgrundtief und ließ sich in seinen Feierabendsessel fallen. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie gern ich das täte. Aber einer muss sich schließlich ums Geschäft kümmern.“
„Vielleicht können wir die Reise eines Tages gemeinsam wiederholen“, tröstete ihn Mutsch. „Ich werde dich auf jeden Fall einmal am Tag anrufen und dir Bericht erstatten. Nun mach nicht so ein Gesicht, Paul! Wir fahren doch nicht nach Sibirien!“
„Die erste Woche haben wir sogar fachkundige Begleitung“, fügte Bille hinzu. „Deutsche und polnische Reiseleiter. Sicherer geht’s doch gar nicht.“ Liebevoll legte sie ihrem Stiefvater die Arme um die Schultern und drückte ihn kurz.
Onkel Paul grinste beschämt. „Ich bin ein alter Egoist. Du hast Recht, Bille, in Wirklichkeit habe ich nur keine Lust, so lange hier allein zu sein. Sicher werde ich ganz abgemagert sein, wenn ihr zurückkommt - ohne die gute Küche deiner Mutter.“
„Es war deine Idee!“ Bille zwinkerte Mutsch zu. „Außerdem gibt es dagegen hervorragende Mittel. Ich könnte zum Beispiel Daddy Tiedjen bitten, dich öfter zum Abendessen einzuladen. Oder du kannst mit den Mädels aus dem Reitclub Wedenbruck zum Pizzaessen gehen und ihnen deine Jugendstreiche erzählen. Und Simon wird es ein Vergnügen sein, bei einem oder mehreren Gläschen Wein seinen Trennungsschmerz mit dir zu teilen.“ Sie sprang auf. „Ich muss ihm unbedingt noch aufschreiben, an was er bei Black Arrow . . .“
„. . .denken muss, fällt dir bei ,Trennungsschmerz‘ ein“, vollendete Onkel Paul den Satz schmunzelnd.
„Na, ich glaube, Blacky Boy ist total glücklich, wenn er Simon um sich hat. Da mache ich mir keine Sorgen.“
Bille lief in ihr Zimmer hinauf. Dort sah es aus wie in einem Warenlager kurz vor der Räumung. Kleidungsstücke, Kosmetikartikel, Bücher, Schreibzeug, Fotos und alles, was sie auf der Reise sonst noch so brauchte, lag in einzelnen Häufchen auf Schreibtisch, Fensterbrett, Kommode und sämtlichen Stühlen. Wenn sie das alles mitnehmen wollte, würde sie zwei Schrankkoffer benötigen. Immer wieder hatte sie aussortiert und überlegt, mit wie wenig sie auskommen konnte, und trotzdem fielen ihr ständig Dinge ein, auf die sie keineswegs verzichten zu können glaubte.
Sollte sie Reithosen und Reitstiefel nun mitnehmen oder nicht? Natürlich! Schließlich verbrachten sie einige Zeit auf einem Pferdehof. Aber gerade die Reitstiefel nahmen so viel Platz weg! Auch wenn sie sie mit Strümpfen und Badezeug voll stopfte. Die schwere Reisetasche hatte zum Glück Räder, die konnte sie ziehen. Wenn die Hotels allerdings keinen Fahrstuhl besaßen und sie im obersten Stock wohnten, wurde es schwierig. Es half nichts. Bis morgen Vormittag musste alles gepackt sein. Dann fuhr Onkel Paul sie zum Bahnhof, und von dort ging es nach Berlin, wo sie den Bus mit der Reisegesellschaft bestiegen.
Bille war froh, dass Mutsch sich dafür entschieden hatte, die Fahrt nicht mit dem eigenen Wagen zu machen. Unter der Führung einer erfahrenen Reiseleiterin würde es leichter sein, sich in dem Land zurechtzufinden, in dem kaum noch einer Deutsch sprach. So konnten sie gleich die ersten Tage entspannt genießen.
Es war weit nach Mitternacht, als Bille endlich ihre Tasche gepackt und alle Vorbereitungen getroffen hatte. Doch obwohl sie todmüde war, warf sie sich unruhig im Bett hin und her und konnte nicht einschlafen. Um halb sechs stand sie leise auf und fuhr nach Groß-Willmsdorf in den Stall hinüber, um beim Füttern zu helfen und sich von ihren vierbeinigen Lieblingen zu verabschieden. Sie hängte Zettel an die Pinnwand, voll mit Hinweisen und speziellen Aufträgen, was die Behandlung von Black Arrow und den ihr anvertrauten Pferden betraf, und einen weiteren, auf dem in riesigen Buchstaben Adressen und Telefonnummern standen, unter denen sie zu erreichen sein würde.
„Nun mach aber, dass du wegkommst!“, mahnte Hubert kopfschüttelnd. „Als wenn wir das nicht alle längst wüssten ! Du bist doch schon öfter verreist.“
„Schon. Aber das war nicht so wie diesmal. Polen, Ostpreußen, eine Reise in die Vergangenheit meiner Mutter - das ist was ganz anderes.“
„Ach was.“
„Doch!“ Bille zuckte mit den Schultern. „Wie soll ich dir das erklären. Es ist viel weiter weg. Ich meine nicht die Kilometer. Es ist eine Reise in eine andere
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