Ein ganz besonderer Sommer
blicken.
Bille setzte sich mit ihrem Schützling in Bewegung und ging auf den Eingang der Koppel zu. In ihrem Rücken hörte sic die Tritte eines zweiten Pferdes, und etwas entfernter das Klappern weiterer Pferdehufe. Sie atmete auf und sah sich vorsichtig um.
Hinter ihr ging ihre Mutter. Sie hielt eines der Pferde am Halfter. Ein weiteres folgte ihnen freiwillig. Das Schlusslicht bildete ein alter Herr, der ebenfalls ein Pferd führte.
Wenigstens einer der Autofahrer raffte sich jetzt, da die unmittelbare Gefahr vorüber war, auf, um ihnen zu helfen. Er sprang aus seinem kleinen Lieferwagen, und während die drei Busreisenden die Pferde weit hinaus auf die Koppel führten, hob er das Gatter auf und schob es zu. Dann lief er zu seinem Wagen und kam gleich darauf mit einem Werkzeugkasten zurück. Mit einigen kräftigen Hammerschlägen und langen Nägeln befestigte er notdürftig die ausgebrochene Halterung, die lediglich aus einem dicken Lederlappen bestand. Zusätzlich sicherte er das Tor mit festem Draht. Als auf einem klapprigen Fahrrad der Bauer herankam, um das Gatter zu reparieren, war das meiste getan.
Harry schwieg, als Bille, ihre Mutter und der alte Herr durchnässt , aber zufrieden in den Bus zurückkehrten. Er sagte kein Wort mehr, bis er sie in Stettin vor ihrem Hotel aussteigen ließ. Dafür hatte es von den übrigen Reiseteilnehmern für ihre Tat herzlichen Applaus gegeben.
Als Bille zwei Stunden später nach einem leckeren Abendessen und einem duftenden Schaumbad ins Bett sank, seufzte sie glücklich. „Luxus pur, so schön hätte ich mir das hier nie vorgestellt! Und die Mitreisenden sind so nett! Besonders dieser alte Herr von Boskow . Ein echter Pferdemensch. Weißt du, was er zu mir gesagt hat?“
„Na?“
„Er hat beim Essen mit mir angestoßen und gesagt: Gut gemacht, Mädchen. Sie können das ostpreußische Blut auch nicht verleugnen! Mutsch, ich glaube, das wird eine ganz tolle Reise.“
Mutsch lächelte. „Das glaube ich auch. Und weißt du, auf was ich am meisten gespannt bin? Wie unsere Höfe jetzt aussehen, der meiner Familie und der, auf dem dein Vater zu Hause war. Du weißt ja, wir waren Nachbarskinder. Schräg gegenüber lebte die Familie von Onkel Paul. Das ganze Dorf ist damals gemeinsam auf die Flucht gegangen. Und fast alle haben in Holstein wieder zusammengefunden. Ach, was rede ich da, das habe ich dir ja schon so oft erzählt.“
Aber Bille war ohnehin längst eingeschlafen.
Besuch in der Vergangenheit
„Aufstehen, Bille, sonst verpassen wir das Frühstück!“ Mutsch rüttelte sie sanft an der Schulter.
„Wie . . . äh, was? Wo bin ich denn? Ach so!“ Bille räkelte sich zufrieden. „Hab ich gut geschlafen! Wie ein Bär im Winter. Und wieso ist es draußen so dunkel?“ Sie richtete sich auf und sah besorgt zum Fenster. Ein heftiger Wind trieb dicke Regentropfen gegen die Scheibe. „Na, Prost! Das kann ja heiter werden.“
Ihre Mutter ließ sich von dem schlechten Wetter offensichtlich nicht die Laune verderben. „Warten wir’s ab. Vielleicht treibt der Wind die Wolken bald auseinander. Auf jeden Fall bin ich froh, dass wir nicht im eigenen Wagen unterwegs sind, sondern gemütlich im Bus sitzen.“ Bille verkniff sich eine Bemerkung über den geschwätzigen Harry, der die Gemütlichkeit zuweilen erheblich beeinträchtigte. Ob er inzwischen kapiert hatte, dass die Reisegesellschaft keinen Wert auf seine Art von Humor legte? Zunächst einmal freute sie sich auf ein kräftiges Frühstück. Hoffentlich war es bei den Polen nicht wie bei den Franzosen und Italienern, die morgens nur einen Kaffee und ein kleines Stück Gebäck zu sich nahmen.
Doch sie wurde nicht enttäuscht. Das Frühstücksbüfett bot weit mehr, als sie es sich hätte träumen lassen, und Bille fragte sich, ob vielleicht ein hoher Feiertag Anlass zu solch einem Angebot an Köstlichkeiten gab. Sie bedauerte nur, dass sie nicht genug Zeit hatte, von allem zu probieren. Die Busreisenden waren gebeten worden, sich pünktlich um Viertel vor neun zur Abfahrt vor dem Hotel einzufinden.
Bille erschien als Letzte. Sie hatte schnell noch eine Postkarte für Simon erstanden und in aller Eile einen Gruß darauf gekritzelt. Eine Entschuldigung murmelnd kletterte sie in den Bus.
„ Dzien dobri !“, begrüßte sie eine helle Stimme.
Bille schaute erstaunt auf. Vor ihr stand eine auffallend hübsche junge Frau, die blonden Haare zu einem Zopf geflochten, die dunkelbraunen Augen blickten sie aufmerksam
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