Ein ganz schoen starker Plan
sie. Sie gehörte in die kleinste Kategorie: die, die die Schule schwänzte. Es war Liv aus meiner Parallelklasse.
Zu behaupten, ich würde Liv kennen, wäre übertrieben gewesen. Eigentlich kannte ich überhaupt kein Mädchen. Außerdem gehörte Liv in die Kategorie »die tollsten Mädchen der Schule.« Ich gehörte in eine ganz andere Kategorie. Eine, bei der ich nicht einmal genau wusste, wie sie hieß, aber es stand auf jeden Fall niemand Schlange, um mit mir in einer Gruppe zu sein.
Sie kam genau auf mich zu. Ich hatte aber nicht den Eindruck, dass sie mich gesehen hatte. Wenn ich schneller gewesen wäre, hätte ich mich hinter das Gebüsch werfen können. Aber ich saß wie angeleimt auf der Bank und wartete auf den Augenblick, in dem sie mich entdeckte. Zuerst ging sie langsamer. Im nächsten Moment glaubte ich, sie werde einfach vorbeigehen, als wären wir beide niemals zur Schulzeit im Park gewesen. Aber sie blieb stehen.
»Was machst du denn hier?«
Liv trug eine enge Hose und hatte braune Locken. Sie kam mir mehrere Meter groß vor, als sie so dicht vor mir stand.
»Vielleicht dasselbe wie du?«
»Bist du auch sauer auf deine Eltern?«
»Ja, eigentlich schon.«
Sie setzte sich neben mich. »Meine Mutter, also echt. Alles, was ich tue, ist falsch, ich kann die kranke Kuh einfach nicht fröhlich stimmen. Sie will mir vorschreiben, was ich anziehe. Und ich sag doch, aber hallo. Zieh ich vielleicht hässliche Klamotten an? Wirke ich denn total behindert?«
»Öh, nein, das tust du nicht«, beteuerte ich.
»Die Alte will, dass ich unglaublich scheußlichen Kram anziehe, Omahosen und Pullover wie Decken. Aber hallo, was soll ich denn dann noch in der Schule. Ehrlich, dann kann ich ja gleich darum bitten, gemobbt zu werden.«
»Du kannst doch wohl nicht gemobbt werden.«
»Na klar. Alle können gemobbt werden.«
Sie redete wie ein Teenager. Obwohl sie nicht älter war als ich. In der Schule hätte sie garantiert nie mit mir gesprochen. Jetzt saß sie hier neben mir auf der Bank und verbreitete sich über ihre Probleme zu Hause. Für einen kleinen Moment hatte ich Lust ihr zu erzählen, was bei uns so los war, aber das hierwar ja kein Wettbewerb. Außerdem wusste ich nicht, ob ich einem Mädchen vertrauen konnte. Ich wusste sehr wenig darüber, wie man mit Mädchen redet, die keine Schwestern sind.
»Ich hab die superscharfen Schuhe von Silje geliehen. Und stell dir vor, meine Mutter hat sie weggeworfen. Shit, Mann, das waren doch nicht mal meine. Aber sie dachte, ich hätte die von meinem Taschengeld gekauft, und jetzt krieg ich keins mehr. Wie krank ist das denn?«
»Ja, ich glaube, das ist … krank«, sagte ich unsicher.
Sie redete noch eine Weile. Es ging vor allem darum, was sie alles nicht anziehen durfte und wann sie zu Hause sein musste. Einige Male war sie mitten in der Nacht abgehauen, wenn die anderen schliefen, nur um sich zu beweisen, dass sie das konnte. Es gefiel mir, dass sie ehrlich war, und ein paarmal hätte ich ihr fast alles erzählt, aber ich konnte doch immer noch gerade den Mund halten.
»Aber warum schwänzt du denn jetzt?«, fragte sie plötzlich.
»Ich muss zum Zahnarzt.«
»Warum sitzt du dann hier?«
»Ich versuche, Mut zu kriegen. Vielleicht muss ein Zahn gezogen werden.«
»Bei mir ist mal ein Zahn vereist worden, als der Zahnarzt losgelegt hat, aber geschmeckt hat es nicht und wenn die Betäubung nachlässt, tut es tierisch weh.«
»Musstest du einen ziehen lassen?«
»Einmal. Da bin ich drei Tage zu Hause geblieben. Alles war vereitert und so. Ich konnte fast nicht essen. Mama hat mir Brei gekocht, aber hallo, Mann, ich steh nicht auf Brei. Ich bin doch nicht plötzlich scharf auf Brei, bloß weil das Kauenwehtut. Ich zieh ja auch keine Klamotten an, die bequem sind. Ich will Klamotten, die scharf und cool aussehen, oder was?«
»Öh, du redest ein bisschen so wie die aus der Zehnten.«
Das rutschte mir einfach so heraus. Ich nahm an, dass Liv jetzt sauer werden und gehen würde. Doch sie seufzte nur, so tief, dass ihr ganzer Körper ein wenig zusammensackte.
»Ich wollte nicht …«, fing ich an. »Es war nur …«
»Ich schaff das nicht so ganz, oder was?«, fiel sie mir ins Wort. »Ich übe noch, verstehst du. Das ist schwerer, als man annehmen sollte.«
»Du bist jedenfalls besser als ich.«
»Ich habe gehört, dass du gar nicht auf den Mund gefallen bist.«
Ich schaute sie überrascht an. »Wer sagt das?«
»Die anderen«, sagte sie und zuckte
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