Ein ganz schoen starker Plan
Karte auszuspielen, aber was soll man machen, wenn man kein As in der Hand hat? Das Essen zu Hause im Kühlschrank war schon fast verdorben, unser Fernseher war ein schwarzes Loch. Und vor allem: Ich hatte Ida versprochen, dass wir den Strom zurückkriegen würden.
»Ich will ganz ehrlich sein«, sagte ich also. »Papa ist mit einer Frau durchgebrannt und meine Schwester und ich wussten nicht, dass die Stromrechnung nicht bezahlt worden ist. Als wir heute Morgen aufgewacht sind, hatten wir keinen Strom mehr.«
»Wer passt denn auf euch auf?«
Das musste ja kommen. Mögliche Antworten jagten mir durch den Kopf. Es liegt an den Details, ob eine Lüge geglaubt wird.
»Cecilie. Unsere Nachbarin. Aber sie ist … blind«, sagte ich langsam und wartete auf eine Reaktion.
Die Frau sah mich lange an und zeigte auf ein Sofa, das vor der Wand stand. Ich ließ Rechnung und Geld auf dem Tresen liegen, ging hinüber und setzte mich, während sie leise in ihr Headset redete. Eigentlich war es gemein zu behaupten, Cecilie sei blind, aber solche Info brachte immer Bewegung in die Geschehnisse. Wenn ich gesagt hätte, sie sei nur eine genervte Nachbarin, die sich dauernd über den Lärm beschwerte, hätte die Frau jetzt niemals in ihr Headset geredet. Ich setzte mich mit eng zusammengepressten Beinen, senkte den Kopf ein wenig und starrte den Boden an, während ich versuchte, an weitere Details zu denken, damit sie Mitleid mit mir bekäme. Am Ende zog ich Stift und Papier aus der Tasche und machte eine Liste:
Ich habe schreckliche Angst im Dunklen.
Mein Urgroßvater liegt tiefgefroren im Keller und jetzt taut er auf.
Mein Zeigefinger hat Feuer gefangen, als wir einige Teelichter anzünden wollten.
Danach zeichnete ich eine Kurve für den Tag, so wie ich ihn vor mir sah.
Ewiger Optimist. Das war ich. Wenn nur der Stein in meinem Magen aufgetaut wäre.
Ich hatte offenbar etwas richtig gemacht, denn zehn Minuten später winkte die Frau mich zu sich und lächelte liebenswürdig.
»Der Strom wird heute noch wieder angedreht«, sagte sie.
»Wie schön. Tausend Dank!«
»Nimm das hier«, sagte sie und reichte mir das Geld. »Dein Vater soll bezahlen, wenn er zurückkommt. Hat er euch wirklich allein gelassen?«
Sie schaute mir tief in die Augen.
»Ja, auf einmal war er einfach weg«, sagte ich und nickte eifrig. Es tat gut, einmal nicht lügen zu müssen. »Wenn er zurückkommt, hau ich ihn zu Brei.«
Ich weiß nicht, warum ich das Letzte sagte, aber es kam mir richtig vor. Als ob es die ganze Zeit irgendwo in meinem Hinterkopf gelauert hätte und jetzt unbedingt hinauswollte.
»Und du«, sagte sie. »Danke für die Komplimente. So was sagen leider viel zu wenig Jungs.«
Ich kam mir mehrere Kilo leichter vor, als ich wegging. Jetzt musste ich nur noch den Drachen daran hindern, das große Fest zu veranstalten, und die Rektorin musste von einem Mann beschwichtigt werden, der vermutlich alles andere als nüchtern sein würde. War es wirklich so anstrengend, erwachsen zu sein?
Live-Auftritt mit Liv
Ich feierte mit einer Riesenportion Eis. Vanilleeis mit Schokosplittern, Karamelleis mit Nüssen und jede Menge Streusel in einer riesigen Schale. Mein Nachtischmagen war ganz schön voll. Danach machte ich einen Spaziergang ohne Ziel und Zweck, um meine Gedanken ein wenig auszulüften. Das Problem mit meinen Gedanken war, dass sie viel zu leicht davonflogen. Ehe ich besonders weit gekommen war, hatte ich mir schon allerlei Methoden überlegt, um reich zu werden. Ein Buch mit Ausreden, eine eigene Ausredenschule, vielleicht Privatunterricht in Ausreden – sicher gab es Politiker, deren Ausreden besser werden mussten. Diese Gedanken speicherte ich unter zukünftige Projekte .
Ich ging in den Park und schaute einer alten Dame zu, die die Enten fütterte. Als sie merkte, dass ich sie beobachtete, hielt sie mir eine Handvoll Brotkrümel hin, wie um zu fragen, ob ich mitfüttern wollte. Ich dankte und steckte mir die Brotkrümel in den Mund, während ich glücklich schmatzte. Darauf gab sie mir einen Hunderter für Essen.
Es klappte, kam mir aber ziemlich mies vor.
Ich musste meine Gedanken mit etwas anderem füllen, deshalb setzte ich mich auf eine Bank, zog den Kugelschreiberhervor, den ich immer in der Tasche hatte, und machte eine Übersicht darüber, wer den Tag im Park verbrachte.
Dann kam ein Mädchen, das ich erst im Diagramm nicht unterbringen konnte. Sie war jung und wirkte nicht deprimiert. Aber dann erkannte ich
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