Ein ganz schoen starker Plan
hätte. Ich nahm an, dass die Rektorin jetzt so richtig in die Luft ging. Jedenfalls redete sie lange und der Mann machte dazu ein trauriges Gesicht. Ich hatte Lust, ihm das Handy aus der Hand zu reißen und loszurennen, aber ich rührte keinen Finger, ich stand nur da und hörte zu, wie er mich um Kopf und Kragen redete.
»Ich könnte ihn natürlich an den Klavierhocker fesseln und ihm zehn Schläge mit dem Gürtel verpassen, aber glauben Sie, das würde helfen? Ich könnte die Badewanne mit kaltem Wasser füllen und seinen Kopf hineinpressen, bis seine Lunge sich mit Wasser füllt, aber würde das helfen? Nein, was hilft, ist, wenn Sie dem Jungen Freiheit geben. Lassen Sie ihn seine Fantasie benutzen. Lassen Sie ihn ab und zu zu spät kommen. Ja, Teufel auch, klopfen Sie ihm auf die Schultern, statt ihn dauernd von den Lehrern in Ihr Büro schicken zu lassen. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein verängstigter kleiner Junge, der versucht, sich im Leben zurechtzufinden.« Der Mann verstummte. Es hatte wohl keinen Zweck, am nächsten Tag in die Schule zu gehen. Oder in der nächsten Woche. Die Rektorin musste ja glauben, Papa habe den Verstand verloren. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie das Jugendamt informiert hätte.
»Hallo?«, fragte der Mann
Sicher hatte die Rektorin aufgelegt.
»Ich wollte nicht …«, begann er. »Ich wollte Sie nicht zum Weinen bringen.«
Er schaute zu mir herüber.
Weinte die Rektorin wirklich?
»Ach, dann Sind Sie also meiner Ansicht? Schön, das zu hören. Sie wissen, dass Hans ein lieber Junge ist …«
»Håkon«, rutschte es mir heraus.
»Håkon, meine ich. Er ist nicht immer ganz pflegeleicht, aber das sind eben nicht alle. Wenn man sich nicht um die kümmert, die ein wenig aus dem Rahmen fallen, können sie leicht als Trinker oder Junkies enden. Damit kenne ich mich aus. Aber ich wollte ja nicht … Geht’s jetzt besser?«
Die Rektorin sagte etwas am anderen Ende der Leitung.
»Das klingt wirklich gut«, sagte der Mann ernst. »Ja, vielleicht sollten Sie und ich einmal angeln gehen?«
Ich schüttelte den Kopf und fuchtelte mit den Armen.
»Ich habe eine sehr gute Forellenangel unten beim Pfandleiher. Wir könnten ein Zelt und ein paar Bier mitnehmen und …«
Die Rektorin fiel ihm ins Wort. Dann folgte ein längeres Gespräch über Angelpartien und Wochenenden auf der Hütte. Der Mann erzählte, er sei ein guter Schreiner, auch wenn er lange keine Stelle mehr gehabt habe.
»Diese Hütte scheint ja schön gelegen zu sein«, sagte er interessiert.
Die Rektorin redete wieder eine Weile. Jetzt lächelte der Mann strahlend.
»Ja, schön, dann rufe ich wieder an. Sie scheinen ja ein patentes Frauenzimmer zu sein.«
Dann war es vorüber. Aber war die Katastrophe zur Tatsache geworden? Da war ich mir wirklich nicht sicher.
»Reizende Frau«, sagte er und reichte mir das Handy. »Sie will mit deinem Lehrer sprechen und ihn bitten, dir ein wenig mehr Spielraum zu geben. Ich glaube, wir werden angeln gehen. Vielleicht auch auf eine Hütte fahren. Hab schon seit Jahren keine Frau mehr gehabt.«
Jetzt nuschelte er wieder.
»Sie können nicht mit der Rektorin angeln gehen, dann sieht sie doch, dass Sie nicht mein Vater sind.«
»Das kommt schon in Ordnung, Junge. Sie wird nur angenehm überrascht sein, wenn sie sieht, dass ich nicht tropfe. Und das tu ich wirklich nicht, meine Blase ist so groß wie ein Schwimmbecken. Aber sie hat die Sache gerafft. Vernünftige Frau. Hat nur ein bisschen nah am Wasser gebaut.«
Ich war wirklich verwirrt. Dieser Betrunkene hatte etwas gesagt, das meine Rektorin mitten im Herzen getroffen hatte. Die Rektorin war nicht als Heulsuse bekannt und meines Wissens ließ sie sich auch nicht mit jedem ein. Wenn sie gewusst hätte, dass sie mit einem der Penner vom Kiosk geredet hatte, dann hätte sie die Angeltour garantiert energisch verweigert.
»Aber wie haben Sie es geschafft, am Telefon so ganz anders zu klingen?«, fragte ich.
»Hab doch auch schon gearbeitet. Guter Job im Büro und so. War aber nix für mich.«
Ich bedankte mich für seine Hilfe und versuchte, ihm das Geld zu geben.
»Das behalt du mal selbst. So ein nettes Gespräch hab ich schon lang nicht mehr gehabt.« Er behielt den Zettel mit der Nummer der Rektorin und ging zu seinen Kumpels zurück.
Was würde passieren, wenn ich am nächsten Morgen in die Schule kam?
Ich zeichnete einige Theorien auf.
Irgendwann an diesem Tag war der Strom zurückgekommen. Ida
Weitere Kostenlose Bücher