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Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr

Titel: Ein ganzes halbes Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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vielleicht als Ausgleich für die Stunden, die wir in der Kälte draußen verbracht hatten. Aber erst, als ich mich zu ihm ins Wohnzimmer setzte, fiel mir auf, dass er nichts sagte – und zwar nicht aus Erschöpfung oder weil er fernsehen wollte. Er redete einfach nicht mehr mit mir.
    «Ist … irgendwas?», sagte ich, als er auch zu meiner dritten Bemerkung über die Regionalnachrichten geschwiegen hatte.
    «Das können Sie mir doch bestimmt viel besser erklären, Clark.»
    «Wie bitte?»
    «Sie wissen doch alles, was es über mich zu wissen gibt. Also können Sie es besser erklären als ich.»
    Ich starrte ihn an. «Es tut mir leid», sagte ich schließlich. «Ich weiß, dass heute alles schiefgelaufen ist. Aber es sollte einfach nur ein netter Ausflug sein. Ich habe wirklich gedacht, es würde Ihnen gefallen.»
    Ich sagte nicht, dass er sich extra miesepetrig verhalten hatte, dass er keine Ahnung hatte, was ich alles unternahm, damit er ein bisschen Spaß hatte, während er nicht einmal versuchte, ein bisschen Spaß zu haben. Ich sagte nicht, dass wir noch ein schönes Essen hätten haben können, bei dem wir all die anderen Sachen hätten vergessen können, wenn er mich bloß diese idiotischen Anstecker hätte kaufen lassen.
    «Und genau darum geht es.»
    «Das verstehe ich nicht.»
    «Sie sind genauso wie alle anderen.»
    «Was soll das heißen?»
    «Wenn Sie es für nötig gehalten hätten, mich nach meiner Meinung zu fragen, Clark, wenn Sie es für nötig gehalten hätten, mich nur einmal zu fragen, was ich von diesem sogenannten netten Ausflug halte, dann hätte ich es Ihnen gesagt. Ich hasse Pferde, und ich hasse Pferderennen. Und zwar schon immer. Aber Sie haben es nicht für nötig gehalten. Sie haben beschlossen, was mir Ihrer Meinung nach gefallen muss, und dann haben Sie es durchgezogen. Sie haben sich genauso verhalten wie alle anderen. Sie haben an meiner Stelle die Entscheidung getroffen.»
    Ich schluckte.
    «Ich wollte doch nicht …»
    «Aber Sie haben es trotzdem getan.»
    Er drehte seinen Stuhl von mir weg, und nachdem einige Minuten in Stille verstrichen waren, wurde mir klar, dass ich gehen sollte.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 12
    I ch weiß noch genau, an welchem Tag ich meine Unerschrockenheit verlor.
    Es war vor beinahe sieben Jahren, in den letzten, schwülen Julitagen. Die Touristen drängten sich in den engen Burggassen, und die Luft war erfüllt von den Geräuschen ihrer Schritte und dem Gebimmel der Eisverkäufer, die sich oben auf dem Burghügel aufgestellt hatten.
    Meine Großmutter war einen Monat zuvor nach langer Krankheit gestorben, und über diesem Sommer lag ein Schleier aus Traurigkeit, der alles überdeckte, was wir taten, und sogar bei meiner Schwester und mir die Neigung zu theatralischen Ausbrüchen dämpfte. Normalerweise fuhren wir im Sommer immer ein paar Tage weg und unternahmen Ausflüge. Doch in diesem Jahr fiel das alles aus. Meine Mutter stand oft vor dem Abwasch, den Rücken steif durchgedrückt vor Anspannung, weil sie die Tränen unterdrücken wollte, und Dad verschwand jeden Morgen mit grimmig entschlossener Miene zur Arbeit, kam verschwitzt zurück und konnte erst etwas sagen, wenn er ein Bier aufgemacht hatte. Meine Schwester war von ihrem ersten Jahr an der Universität zurück und mit den Gedanken schon weit weg von unserer kleinen Stadt. Ich war zwanzig Jahre alt und sollte Patrick in weniger als drei Monaten kennenlernen. Wir genossen einen dieser seltenen Sommer der Freiheit – keine finanziellen Verpflichtungen, keine Schulden, niemand, der etwas von uns wollte. Ich hatte einen Ferienjob und alle Zeit der Welt, Make-up-Ideen auszuprobieren, Absätze anzuziehen, bei deren Anblick mein Vater zusammenzuckte, und herauszufinden, wer ich eigentlich war.
    Damals zog ich mich ganz normal an. Oder, besser gesagt, ich sah aus wie die anderen Mädchen in der Stadt – langes Haar, das ich über die Schulter warf, Jeans und T-Shirts, die eng genug waren, um zur Geltung zu bringen, welch schlanke Taille und straffe Brüste man hatte. Wir verbrachten Stunden damit, den Lipgloss perfekt aufzutragen und genau den richtigen Lidschatten für einen geheimnisvollen Blick auszusuchen. Wir sahen in jeder Hinsicht gut aus, jammerten uns aber trotzdem stundenlang etwas über nicht existierende Cellulitis und unsichtbare Flecken auf der Haut vor.
    Und ich hatte Pläne. Es gab Dinge, die ich tun wollte. Ein Junge aus der Schule hatte eine Weltreise gemacht und kam

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