Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom
die Begeisterung desjenigen sein (etwa so wie das vor Freude in die Luft springen bei normalen Kindern). Ein motorischer Tick kann auch darauf hindeuten, dass außerdem das Tourette-Syndrom vorliegt (Kapitel 10). KomplexeBewegungen des ganzen Körpers können ebenfalls mit einer bestimmten Emo tion verbunden werden, etwa das sanfte Hin- und Herschaukeln, das dazu dient, die Person zu beruhigen; auch das kann ein Symptom des Tourette-Syndroms sein. Motorische Manierismen wie das Flattern mit den Händen und die ausdauernde Beschäftigung mit Teilen von Gegenständen sind typisch für jüngere Kinder mit Asperger-Syndrom. In der späteren Kindheit verschwinden sie oft, auch wenn sie mitunter noch bei Erwachsenen beobachtet werden können. 4
AUS DEM LEBEN
»Ordnung in ein unerträglich chaotisches Leben bringen«
Theresa Jolliffe beschrieb dies so:
»Die Realität ist für einen autistischen Menschen eine verwirrende, wechselwirkende Ansammlung von Ereignissen, Menschen, Orten, Geräuschen und Anblicken. Es scheint keine klaren Grenzen zu geben, keine Ordnung und nichts scheint eine Bedeutung zu besitzen. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens damit verbracht, die Muster hinter den Dingen zu erkennen. Feste Routinen, Zeiten, bestimmte Routen und Rituale helfen einem, Ordnung in ein unerträglich chaotisches Leben zu bringen. Der Versuch, die Dinge möglichst so zu lassen, wie sie sind, verringert die schreckliche Angst ein wenig.« 5
Einige Betroffene haben kein Spezialinteresse
Die Diagnosekriterien von Peter Szatmari und seinen Kollegen enthalten keinen Hinweis auf das Vorhandensein von Spezialinteressen. Tatsächlich gibt es einen kleinen Prozentsatz von Kindern und Erwachsenen, die zwar alle anderen Diagnosekriterien erfüllen, aber aktuell kein Spezialinteresse haben. 6 In der Forschung rechnet man mit rund 5 bis 15 Prozent der Menschen mit Asperger-Syndrom, die zu dieser Gruppe gehören. 7 Daher würde ich eine Diagnose Asperger-Syndrom nicht von vornherein ausschließen, wenn aktuell kein Spezialinteresse vorliegt.
Untersuchungsmethoden
Wenn eine Fachkraft repetitives Verhalten oder ein Spezialinteresse genauer untersuchen will, gibt es dazu zwei Verfahren:
das Repetitive Behaviour Interview (Interview zu repetitivem Verhalten) 8 und
das Yale Special Interest Interview (Yale-Interview zu Spezialinteressen). 9
Die Zeit und Mittel, die für ein Spezialinteresse verwendet werden, bedeuten eine beträchtliche Störung des Alltagslebens der Person und seiner Familie. Dieses Merkmal ist auch über längere Zeit bemerkenswert stabil. 10 Das Spezialinteresse kann aber auch eine Quelle des Vergnügens sein. Es kann Freundschaften oder eine berufliche Beschäftigung ermöglichen.
Wie entwickelt sich das Spezialinteresse?
Ungewöhnliche Interessen können sich bereits im Alter von zwei oder drei Jahren entwickeln. 11 Sie können mit Beschäftigungen mit Teilen von Gegenständen beginnen, etwa dem Drehen der Räder von Spielzeugautos oder der Beschäftigung mit elektrischen Schaltern. Die nächste Stufe ist dann oft die Fixierung auf etwas, das weder ein Mensch noch ein Spielzeug ist 12 oder die Faszination für eine bestimmte Kategorie von Gegenständen und der Erwerb von möglichst vielen Exemplaren dieser Gegenstände. Manchmal enthält diese Sammlung Dinge, die auch andere Kinder interessant finden, zum Beispiel Steine oder Flaschenverschlüsse, doch können manche auch sehr exzentrisch sein, beispielsweise Zündkerzen und gelbe Bleistifte. Das Kind sucht dann eifrig jede Gelegenheit, um seine Sammlung zu erweitern und es verbringt einen großen Teil seiner freien Zeit, um solche »Trophäen« zu sammeln.
Das Kind leidet sehr, wenn ein Exemplar fehlt und ist sichtlich begeistert, wenn es dieses Exemplar wiederfindet. Manchmal hängt das Kind mehr an diesen Objekten als an anderen Familienmitgliedern. Die Welt des Sozialen und Zwischenmenschlichen ist verwirrend, sodass das Kind Objekte und Maschinen einfacher versteht. Sie sind auch verlässlicher als Menschen, ändern ihre Meinung nicht und sie werden auch nicht abgelenkt oder reagieren emotional.
Meine Schwägerin schrieb dazu: »Es ist einfach, seine Liebe Gegenständen zu schenken statt Menschen, denn Gegenstände können einem zwar keine Liebe zurückgeben, sie weisen einen aber auch nicht zurück. Man kann also auf eine sehr sichere Art und Weise etwas anhimmeln, ohne Gefahr zu laufen, verletzt zu werden.«
Sie ahmen keine Personen, sondern Gegenstände
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