Ein Garten im Winter
Komm, Olga, dreh dich zu mir. Ich halte dich.«
Vera hört das Bett quietschen, als sie sich wieder hinlegen. Sie streckt sich neben ihrem Mann aus und versucht, sich in seinen Armen geborgen zu fühlen. Es ist so wenig Licht, dass sie das Gesicht ihres Mannes nur undeutlich als grauen und schwarzen Schatten sieht, aber sein Atem geht ruhig und regelmäßig, und als sie das hört, beruhigt sie sich. Sie berührt seine Wange und spürt die weichen Bartstoppeln, die ihr mittlerweile so vertraut sind wie ihr Ehering. Sie beugt sich zu ihm, um ihn zu küssen, und als seine Lippen die ihren treffen, gibt es einen Augenblick lang nur diesen Kuss, doch dann löst Sascha sich von ihr und sagt: »Du wirst stark sein müssen, Veruschka.«
»Wir werden stark sein«, erwidert sie und hält ihn fest.
Zwei Nächte später werden sie von Schüssen geweckt.
Vera springt mit hämmerndem Herzen aus dem Bett. Als sie zu ihren Kindern gelangen will, stolpert sie über das Bett ihrer Mutter. Die dünnen Fensterscheiben klirren von den Gewehrsalven, und sie hört Schreie und Schritte auf den Gängen.
»Los, schnell«, sagt Sascha erstaunlich ruhig. Er treibt alle zusammen, während die Mutter so viel Essen einpackt, wie sie tragen kann. Erst als sie unten auf der Straße stehen und mit ihren Nachbarn zum fahlblauen Himmel blicken, begreifen sie, dass es russische Fliegerabwehrgeschütze sind, die für kommende Luftangriffe getestet werden.
In ihrer Straße gibt es keine Luftschutzbunker. Es ist die Mutter, die organisiert, dass man am nächsten Tag mit allen Bewohnern in den Keller ihres Wohnhauses gehen und dort einen Bunker einrichten wird.
Irgendwann im Knattern der Geschütze und der surrealen Stille zwischen zwei Salven sieht Sascha zu Vera. Leo schläft in ihren Armen (der Junge kann jederzeit und überall schlafen) und Anja steht neben ihm, lutscht ängstlich an ihrem Daumen und streichelt einen Zipfel ihrer Decke. Eigentlich hatte sie diese Angewohnheit aus ihrer frühesten Kindheit längst abgelegt.
»Ich muss fort. Das weißt du«, sagt Sascha zu Vera.
Sie schüttelt den Kopf. Plötzlich verlieren die Schüsse ihre Bedrohlichkeit. Der Ausdruck auf dem Gesicht ihres Mannes ist viel, viel furchteinflößender.
»Ich bin Student und Dichter«, sagt er. »Und du bist die Tochter eines Hochverräters.«
»Du hast noch nichts veröffentlicht –«
»Ich stehe unter Beobachtung, Vera, das weißt du. Und du stehst auch unter Beobachtung.«
»Du kannst nicht fortgehen. Das lasse ich nicht zu.«
»Es ist schon entschieden, Vera«, erwidert er darauf. »Ich habe mich der Volkswehr angeschlossen.«
Da kommt die Mutter zu ihnen und fasst Veras Arm. »Natürlich gehst du, Sascha«, sagt sie ruhig, aber Vera hört den warnenden Unterton in ihrer Stimme. Immer noch müssen sie sich verstellen. Selbst jetzt, mitten im Geschützfeuer, fährt ein schwarzer Transporter langsam durch die Straßen.
»Es ist das Richtige«, sagt Sascha. »Wir sind die Sowjetarmee. Die beste der Welt. Wir werden die Deutschen in null Komma nichts vertreiben und dann bin ich wieder zu Hause.«
Vera ist sich bewusst, dass die kleine Anja neben ihr steht, ihre Hand hält und jedes Wort hören kann, genau wie ihre Nachbarn und sogar Fremde. Sie weiß, was sie fühlen und sagen sollte, aber sie weiß nicht, ob sie stark genug dazu ist. Ihr Vater hat ihr einst dasselbe gesagt: Keine Angst, Veronika Petrowna, ich werde immer für dich da sein.
»Versprich mir, dass du zurückkommst«, sagt sie.
»Ich verspreche es«, antwortet er leichthin.
Aber Vera weiß, dass manche Versprechen weder gefordert noch gehalten werden können. Als sie sich zu ihrer Mutter umdreht und sie anblickt, wird ihr die Wahrheit bewusst, und gleichzeitig weiß sie, dass sie stark sein muss, genau wie ihre Mutter einst für sie.
Sie sieht wieder ihren Mann an. »Du wirst dieses Versprechen halten, Alexander Iwanowitsch.«
Am nächsten Morgen wacht sie früh auf. In der dunklen Stille nimmt sie das einzige Foto von ihnen. Es wurde an ihrem Hochzeitstag aufgenommen.
Sie blickt auf ihre glücklich strahlenden Gesichter. Tränen verschleiern ihren Blick, als sie das Foto aus dem Rahmen nimmt und es zweimal faltet, bevor sie es in Saschas Manteltasche steckt.
Sie hört Schritte hinter sich, spürt seine Hände auf ihren Schultern.
»Ich liebe dich, Veruschka«, sagt er leise und küsst sie auf die Wange.
Sie ist froh, dass er hinter ihr steht, denn sie weiß nicht, ob sie stark
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