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Ein Garten im Winter

Ein Garten im Winter

Titel: Ein Garten im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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Straße sicher ist, besorge ich die notwendigen Pässe.«
    Sie will darüber nicht sprechen. Es ist unwichtig. Wichtig ist nur noch Essen und Wärme. Sie wünschte, er würde sie einfach nur im Arm halten und küssen.
    Vielleicht lieben wir uns heute Nacht, denkt sie und schließt die Augen. Aber wie soll das gehen? Sie ist neuerdings manchmal sogar zu schwach zum Sitzen …
    »Vera«, sagt er und zwingt sie, ihn anzusehen.
    Sie blinzelt. Manchmal hat sie Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, sogar jetzt. »Was?« Sie blickt in seine leuchtend grünen Augen, die jetzt Furcht und Sorge zeigen, und erinnert sich plötzlich an ihre erste Begegnung. An das Gedicht. Er hatte etwas über Rosen zu ihr gesagt. Und später, in der Bibliothek, hatte er gesagt, er hätte gewartet, dass sie erwachsen wird.
    »Du wirst überleben«, sagt er jetzt.
    Sie runzelt die Stirn und versucht, aufmerksam zuzuhören. Und als er anfängt zu weinen, begreift sie.
    »Ich werde überleben.« Nun fängt auch sie an zu weinen.
    »Und achte gut auf sie. Ich finde einen Weg, euch hier rauszuholen. Versprochen. Ihr müsst nur noch ein bisschen länger durchhalten. Versprich mir das.« Er schüttelt sie leicht. »Versprich es. Ihr drei werdet bis zum Ende durchhalten.«
    Sie leckt sich über ihre rauen, gesprungenen Lippen. »Ich verspreche es«, erwidert sie, weil sie es unbedingt glauben will.
    Er zieht sie an sich und küsst sie. Sein Kuss schmeckt wie süße Sommerpfirsiche, und als er sich von ihr löst, weinen sie beide nicht mehr.
    »Morgen ist dein Geburtstag.«
    »Sechsundzwanzig«, sagt er.
    Sie lehnt sich an ihn. Er legt den Arm um sie. Ein paar Stunden sind sie nur eine junge Familie, die sich im Park vergnügt. Andere hören die Kinder lachen und kommen, um zu sehen, was los ist. Wie orientierungslose Geisteskranke, die plötzlich entlassen werden, stehen sie am Rand des Parks. Sie haben schon lange kein Kinderlachen mehr gehört.
    Es ist der schönste Tag in Veras Leben – so unglaublich das auch klingt. Es ist eine goldene Erinnerung. Und als Vera Hand in Hand mit Sascha nach Hause geht, spürt sie, dass sie sie in ihrem Herzen bewahrt. Es ist ein Licht, an dem sie sich in den kommenden Monaten aufrichten wird.
    Aber als sie zu Hause ankommt, merkt sie sofort, dass etwas nicht stimmt.
    Die Wohnung ist dunkel und kalt. Sie sieht ihren eigenen Atem. Auf dem Tisch steht ein Krug mit gefrorenem Wasser. Auf dem Metallofen schimmert Raureif. Das Feuer ist ausgegangen.
    Sie hört ihre Mutter im Bett husten, stürzt zu ihr und ruft Sascha zu, er solle Feuer machen.
    Ihre Mutter atmet mühsam und verschleimt. Es klingt, als würden alte Früchte durch ein Sieb gepresst. Ihre Haut ist bleich. Um ihren Mund wird sie dunkler, bläulich. »Veruschka«, flüstert sie.
    Oder hat sich Vera das nur eingebildet? »Mama«, sagt sie.
    »Ich habe auf Sascha gewartet«, erklärt die Mutter.
    Vera will sie anflehen, will sagen, dass er nicht zurück ist, sondern nur auf Besuch, will betteln, dass sie sie braucht, aber sie -
    Ich –
    Ich bringe kein Wort heraus.
    Ich kann nur da sitzen und auf meine Mutter blicken, mich so auf meine Liebe zu ihr konzentrieren, dass ich vergesse, wie hungrig ich bin.
    »Ich hab dich lieb«, sagt die Mutter leise. »Vergiss das nie.«
    »Wie sollte ich das vergessen?«
    »Versuch es nicht. Das meinte ich.« Die Mutter will sich vorbeugen, und es ist schrecklich mit anzusehen, wie viel Mühe es sie kostet. Daher beuge ich mich vor und nehme sie in den Arm. Sie ist dünn wie ein Vögelchen. Ihr Kopf kippt zurück.
    »Ich hab dich lieb, Mama«, sage ich. Sie sind nicht genug, diese fünf Worte, die auf einmal Abschied bedeuten. Einen Abschied, zu dem ich nicht bereit bin. Also spreche ich weiter. Ich drücke sie an mich und sage: »Weißt du noch, wie du mir beigebracht hast, Borschtsch zu kochen, Mama? Wir haben uns darüber gestritten, wie klein man die Zwiebeln schneiden muss, und warum man sie zuerst anbraten muss. Du hast einen Topf mit rohem Gemüse auf den Herd gestellt, damit ich den Unterschied schmecken kann. Dann hast du gelächelt, mir über die Wange gestrichen und gesagt: ›Vergiss nicht, wie viel ich weiß, Veruschka.‹ Aber ich habe immer noch nicht genug von dir gelernt …«
    Jetzt schnürt es mir die Kehle zu, dass ich nicht mehr sprechen kann.
    Sie ist fort.
    Ich höre, wie mein Sohn fragt: »Mama, was ist denn mit Baba?«, und muss meine ganze Kraft zusammennehmen, um nicht zu weinen. Denn wozu

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