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Ein Garten im Winter

Ein Garten im Winter

Titel: Ein Garten im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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mussten …
    Dieses Intervall im Jahreslauf hatte ihr Vater immer am meisten geliebt: Noch war alles möglich, und man konnte auf die beste Ernte aller Zeiten hoffen. Meredith hatte versucht, Belije Notschi so zu lieben wie er. Sie liebte ihren Vater, also wollte sie seine Liebe dazu teilen. Doch am Ende war ihr Leben nur eine Blaupause seines Lebens geworden und entbehrte jeglicher Leidenschaft.
    Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück. Die Rattanschaukel drückte sich schmerzhaft in ihren Nacken, aber das war ihr gleich. Als sie sich abstieß, quietschten die alten, rostigen Ketten.
    Du bist genau wie sie , hatte Jeff gesagt.
    Sie zog die Decke enger um ihre Schultern, trank ihren Tee aus und ging ins Haus. Die Hunde durften ihr die Treppe hinauf folgen. In ihrem Zimmer nahm sie eine Schlaftablette, kroch ins Bett und zog sich die Decke bis zum Kinn. Dann rollte sie sich zusammen und versuchte, sich auf das Schnaufen der Hunde zu konzentrieren.
    Irgendwann nach Mitternacht sank sie in unruhigen Schlaf, bis der Wecker um 5 Uhr 47 klingelte.
    Sie schlug auf die Stopptaste und wollte weiterschlafen, doch da es ihr nicht gelang, stand sie auf, zog ihre Joggingsachen an und lief sechs Meilen. Als sie zu Hause ankam, war sie so erschöpft, dass sie wieder ins Bett hätte gehen können, aber das wagte sie nicht.
    Arbeit hieß die Parole. Sich beschäftigen.
    Sie überlegte kurz, in ihr Büro zu gehen, aber es war ein herrlich sonniger Tag, daher würde sicher jemand ihren Wagen sehen, und wenn Daisy erfuhr, dass Meredith am Sonntag arbeitete, würde sie sie einem Verhör unterziehen.
    Daher beschloss sie, nach Belije Notschi zu fahren und sich zu vergewissern, dass Nina sich gut um die Mutter kümmerte. Außerdem gab es noch etliches zu packen.
    Eine Stunde später betrat sie in alten Jeans und einem marineblauen Pullover das Haus ihrer Mutter und rief auf dem Weg zur Küche laut: »Hallo.«
    Nina saß am Küchentisch. Sie trug dasselbe wie am Vortag, und ihre kurzen schwarzen Haare standen wüst in alle Richtungen. Auf dem Tisch lagen ein paar aufgeschlagene Bücher und einige Bögen Papier, die mit Ninas großer, unleserlicher Schrift bedeckt waren.
    »Du siehst aus wie der Unabomber«, sagte Meredith.
    »Dir auch einen guten Morgen.«
    »Hast du überhaupt geschlafen?«
    »Ein bisschen.«
    »Was ist los?«
    »Ich weiß, dir ist es egal, aber mir will das Märchen einfach nicht aus dem Kopf gehen.« Nina blickte zu ihr auf. »Sie hat gestern Abend die Fontanka-Brücke erwähnt. Dabei war es doch früher immer die Verzauberte Brücke, oder nicht? Kommt dir das nicht komisch vor?«
    »Ach, das Märchen. Ich hätte es wissen müssen.«
    »Hör dir das mal an: ›Die Fontanka ist ein Nebenfluss der Newa, die durch Leningrad fließt‹.«
    Meredith goss sich eine Tasse Kaffee ein. »Sie ist Russin, und die Geschichte spielt in Russland. So sensationell ist das nicht.«
    »Du hättest dabei sein sollen, Mere. Es war unglaublich. Gestern Abend war alles anders.«
    Nein, war es nicht. »Vielleicht warst du zu jung, um dich genau zu erinnern. Ich jedenfalls lass mich nicht da reinziehen.«
    »Wieso interessiert dich das nicht? Wir haben nie das Ende der Geschichte gehört.«
    Meredith drehte sich langsam um und sah ihre Schwester an. »Ich bin müde, Neens. Ich weiß nicht mal, ob du das Gefühl kennst, weil du alles mit solcher Hingabe machst. Aber ich habe einen Großteil meines Lebens hier verbracht und versucht, an Mom heranzukommen. Sie wird es nicht zulassen. Das ist Fakt und das Ende der Geschichte. Sie wird dir vorgaukeln, es stecke mehr dahinter – manchmal wirst du Traurigkeit in ihrem Blick sehen, oder ein Zucken ihres Mundwinkels, und dann klammerst du dich daran, weil du es unbedingt glauben willst. Aber es stimmt nicht. Sie … liebt uns einfach nicht. Und ehrlich gesagt, hab ich im Moment selbst Probleme, deshalb muss ich es leider ablehnen, mich an deiner Märchenrecherche zu beteiligen.«
    »Was für Probleme?«
    Meredith blickte auf ihren Kaffee. Für eine Sekunde hatte sie vergessen, dass sie mit Nina sprach: Nina, die mit ihrem journalistischen Spürsinn sofort zum Kern einer Sache kam und keine Angst hatte, Fragen zu stellen. »Ach, vergiss es. Ich hab’s nur so daher gesagt.«
    »Das stimmt doch nicht.«
    Meredith lächelte müde, kam zum Tisch und nahm gegenüber ihrer Schwester Platz. »Ich will mich nicht streiten, Neens.«
    »Dann erzähl es mir.«
    »Du bist die Letzte, die es verstehen

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