Ein Garten im Winter
würde, und das meine ich nicht böse. Ich bin nur davon überzeugt.«
»Warum sagst du das?«
»Weil du seit über vier Jahren mit Danny Flynn zusammen bist, wir aber noch nie von ihm gehört haben. Ich weiß, wo du warst und welche Fotos du dort geschossen hast. Ich weiß sogar, welche Strände du magst, aber ich weiß nichts über den Mann, den du liebst.«
»Wer sagt denn, dass ich ihn liebe?«
»Genau das meine ich. Ich weiß noch nicht mal, ob du je verliebt warst. Dir geht’s nur um Storys. Wie bei Mom. Natürlich fasziniert dich das.« Sie wies mit der Hand zu den Büchern und Papieren auf dem Tisch. »Erwarte nur nicht, hinter irgendein Geheimnis zu kommen. Denn das wird sie nicht zulassen. Und bitte, bitte hör auf, mich da reinzuziehen. Ich kann nicht. Nicht, wenn es um sie geht. Nicht noch einmal. Okay?«
Nina sah sie so mitfühlend an, dass Meredith es kaum ertragen konnte. »Ist gut.«
Meredith nickte und stand auf. »Schön. Dann fahre ich jetzt einkaufen und komm später zurück, um weiter zu packen.«
»Du musst immer beschäftigt sein«, sagte Nina.
Meredith ignorierte den wissenden Tonfall ihrer Schwester. »Da bin ich wohl nicht die Einzige. Wir sehen uns in ein paar Stunden. Achte darauf, dass Mom etwas Vernünftiges isst.« Sie lächelte gezwungen und verließ das Haus.
Den Rest des Tages schoss Nina Fotos von der Apfelplantage und surfte im Internet. Leider war die Internetverbindung in Belije Notschi so schlecht, dass es eine Ewigkeit dauerte, Dinge zu recherchieren. Ihre Ausbeute war mager. Sie erfuhr, dass Russland einen großen Schatz an Märchen hatte, die sich in vielerlei Hinsicht von den Grimm’schen Märchen unterschieden, mit denen Amerikaner vertrauter waren. Es gab buchstäblich Dutzende von Märchen vom Bauernmädchen und dem Prinzen und etliche endeten unglücklich, um eine Lehre zu erteilen.
Aber keine warf Licht auf das Märchen ihrer Mutter.
Als es draußen dämmerte, erschien Meredith an der Tür des Arbeitszimmers und sagte: »Das Abendessen ist fertig.«
Nina zuckte zusammen. Sie hätte früher mit der Recherche aufhören und beim Abendessen helfen sollen. Aber wie üblich hatte sie die Zeit vergessen. »Danke«, sagte sie und fuhr den Computer herunter. Dann ging sie in die Küche, wo die Mutter bereits am Tisch saß. Es war für drei gedeckt.
Nina sah ihre Schwester an. »Bleibst du wieder zum Abendessen? Sollten wir Jeff nicht anrufen und ihn dazu bitten?«
»Er muss noch arbeiten«, erwiderte Meredith und nahm einen Topf aus dem Ofen.
»Schon wieder?«
»Du weißt doch: Die Nachrichtenbranche schläft nie.«
Nina stellte die Wodka-Karaffe und drei Schnapsgläser auf den Tisch. Dann setzte sie sich neben ihre Mutter und schenkte ihr ein.
Mit den dicken Backhandschuhen trug Meredith den heißen Topf zum Tisch und stellte sie auf zwei Untersetzer.
»Chanakhi«, sagte Nina, beugte sich vor und sog genießerisch den Duft des Lamm-Gemüseauflaufs ein. Er stammte aus der Gefriertruhe und würde vorzüglich schmecken, selbst wenn er aufgewärmt war. Das Gemüse würde herrlich weich sein, die Aromen würden sich in einem seidigen Dschungel aus Tomaten, Paprika, süßen Zwiebeln und grünen Bohnen vermischen; das Ganze würde in einer reichhaltigen Knoblauch-Zitronen-Lammfleischbrühe schwimmen, mit dicken saftigen Fleischstücken. Es war eins von Ninas Lieblingsgerichten. »Sehr gute Wahl, Meredith.«
Meredith zog einen Stuhl heran und setzte sich zwischen sie.
Nina gab ihr einen Wodka ohne Eis.
»Schon wieder?«, fragte Meredith stirnrunzelnd. »Hat gestern Abend dir nicht gereicht?«
»Ist eine neue Tradition.«
»Der riecht wie Tannennadeln«, bemerkte Meredith und rümpfte die Nase.
»Er schmeckt aber nicht so«, erwiderte ihre Mutter.
Nina lachte und hob ihr Schnapsglas. Die anderen stießen folgsam mit ihr an und tranken. Dann griff Nina zum Schöpflöffel. »Ich trage auf. Willst du anfangen, Meredith?«
»Schon wieder drei Sachen?«
»Du gibst die Anzahl vor, wir folgen dir.«
Die Mutter sagte nichts, sondern schüttelte nur den Kopf.
»Gut«, sagte Meredith, während Nina ihr Essen auf den weißen Suppenteller gab. »Meine Lieblingstageszeit ist die Morgendämmerung. Ich liebe es, im Sommer auf der Veranda zu sitzen und Jeff … meint, ich arbeite zu viel.«
Noch während Nina über ihre Erwiderung nachdachte, verkündete die Mutter überraschend: »Meine Lieblingstageszeit ist die Nacht. Belije Notschi . Ich liebe es zu kochen. Und
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