Ein Garten im Winter
Tisch. »Wir haben schon viel von Ihnen gehört, Majestät. Willkommen in unserem Heim.«
Olga kichert. »Ich hab wirklich schon viel von Ihnen gehört. Vera redet in einer Tour von Ihnen.«
Sascha lächelt. »Sie hat mir auch viel von dir erzählt.«
»Typisch Veronika«, sagt die Mutter. »Sie redet gern und viel.« Energisch schüttelt sie Sascha die Hand und sieht ihn prüfend an. Sie scheint zufrieden zu sein mit dem, was sie sieht, denn sie lässt seine Hand los, geht zum Samowar und fragt: »Möchten Sie Tee?«
»Ja, danke«, sagt er.
»Ich habe gehört, Sie besuchen die Geistliche Akademie«, fährt sie fort. »Das ist bestimmt faszinierend.«
»Ja. Ich bin ein guter Student. Ich werde auch ein guter Ehemann sein.«
Ihre Mutter zuckt leicht zusammen, schenkt aber weiterhin Tee aus. »Und was studieren Sie?«
»Ich hoffe, eines Tages ein Dichter wie Ihr Mann zu werden.«
Auf einmal sieht Vera alles in Zeitlupe: Ihre Mutter hört gleich beide Tabuwörter - Ehemann und Dichter – und taumelt. Die zarte Glastasse entgleitet ihrer Hand, fällt langsam zu Boden und zerbricht in tausend Stücke. Heißer Tee spritzt an Veras nackte Fußknöchel. Vor Schmerz schreit sie auf.
»Dichter?«, fragt ihre Mutter so ruhig, als wäre nichts passiert, als läge nicht das kostbare Familienerbstück zerbrochen am Boden. »Ich dachte, Prinz zu sein sei heutzutage schon gefährlich genug, aber Dichter …?«
Vera fasst es nicht, dass sie Sascha nicht vorgewarnt hat. »Keine Sorge, Mama. Du brauchst nicht –«
»Sie behaupten, Sie lieben sie«, sagt die Mutter, ohne auf Vera zu achten, »und an Ihrem Blick sehe ich, dass Sie die Wahrheit sprechen, und trotzdem wollen Sie sie noch mal der Gefahr aussetzen, die unsere Familie schon einmal heimgesucht hat.«
»Um nichts in der Welt würde ich Vera einer Gefahr aussetzen«, erklärt er feierlich.
»Ihr Vater hat mir dasselbe versprochen«, entgegnet sie verbittert. Allein, wie sie das Wort Vater ausspricht, zeigt schon, wie wütend sie ist.
»Du kannst uns nicht verbieten zu heiraten«, entrüstet sich Vera.
Dieses Mal sieht ihre Mutter sie an, und die Enttäuschung in ihrem Blick ist fast unerträglich.
Vera spürt, wie ihr Selbstvertrauen schwindet. Noch zehn Minuten zuvor wäre es für sie unvorstellbar gewesen, zwischen Sascha und ihrer Familie wählen zu müssen … aber war ihre Mutter einst nicht auch genau dazu gezwungen? Mama hatte ihren Dichter gewählt und war mit ihm durchgebrannt, musste aber später in Schimpf und Schande zu ihrer Familie zurückkehren. Und jetzt respektiert Mamas Mutter sie zwar, doch von ihrer Liebe ist kaum noch etwas zu spüren.
Vera legt die Hand auf ihren Leib und streichelt ihn geistesabwesend. In den kommenden Monaten wird sie sich an diesen Moment erinnern und erkennen, dass damals schon sein Kind in ihr heranwuchs, aber jetzt spürt sie nur die Angst vor
»Stopp«, sagte Meredith, stieß die Tür auf und trat aus ihrem Versteck. In dem bleichen Mondlicht, das das Zimmer durchflutete, wirkte ihre Mom erschöpft. Ihre Schultern waren gebeugt und ihre langgliedrigen Finger zitterten. Doch am erschreckendsten war ihre außerordentliche Blässe. Meredith ging zu ihr. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Du hast zugehört«, sagte die Mutter.
»Ja, habe ich«, gab Meredith zu.
»Warum?«
Meredith zuckte mit den Schultern. Offen gestanden, wusste sie es nicht.
»Jedenfalls hast du recht.« Die Mutter lehnte sich gegen ihre Kissen. »Ich bin wirklich müde.«
Ihre Mutter gab zu, dass sie recht hatte? Das war noch nie passiert. »Wir kümmern uns um dich. Keine Angst.« Fast hätte sie die Hand ausgestreckt und ihr übers Haar gestrichen. Bei einem Kind, das so müde aussähe wie sie, hätte sie es getan. Hier unterließ sie es.
Nina kam zum Bett und stellte sich neben Meredith.
»Aber wer wird sich um euch beide kümmern?«, fragte ihre Mom.
Meredith setzte schon zu einer Antwort an, zögerte dann jedoch. Ihnen beiden wurde bewusst, dass ihre Mom noch nie so viel Fürsorge gezeigt hatte. Und sie hatte recht mit ihrer Frage.
Eines Tages würde sie nicht mehr da sein, und dann wären nur noch sie beide übrig. Würden sie sich umeinander kümmern?
»So«, sagte Nina, als sie in den Flur gingen, »wie lange hast du schon heimlich zugehört?«
Meredith blieb nicht stehen. »Ich hab die ganze Geschichte gehört.«
Nina folgte ihr die Treppe hinunter. »Warum zum Teufel hast du sie dann unterbrochen?«
Kaum in der Küche
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