Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Engländer, dieser ein Pauper, das sieht man ihm gleich an, einer vom Lumpenproletariat. Völlig andere Schicht. Die haben nichts miteinander zu tun. Vor allem aber: Messer ja, gleiche Tötungsweise nein. Was denken Sie, Ekhoff?»
Ekhoff zögerte. Hier waren ihm zu viele weit aufgesperrte Ohren, um solche Erwägungen und Details auszutauschen. Leider versäumte Dr. Winkler, die Stimme zu senken.
«Ja», sagte Ekhoff endlich ebenso laut, «ja, das ist richtig. Die beiden Morde haben sicher nichts miteinander zu tun. Nein, Henningsen. Jetzt keine Widerrede. Klar?!»
Henningsen schluckte. Er hatte sich über die Leiche gebeugt und sofort widersprechen wollen. Und sofort verstanden.
«Ganz klar», murmelte er und schaute noch einmal genau hin, «das versteht sich.»
«Genau. Und jetzt machen Sie Ihre Skizzen und Notizen. Nur die Lage, den Ort – Sie wissen schon. Und da kommt Schröder, na endlich.»
Diesmal musste der Rittwachtmeister sein Pferd sehr mühsam überreden, ruhig zu bleiben, denn der Fotograf zerrte seinen auf dem unregelmäßigen Pflaster ratternden Bollerwagen mit der schweren Ausrüstung samt Leiter durch die Menge. Die neue Assistentin war nicht bei ihm, offenbar hatte man versäumt, sie zu benachrichtigen. Sie war eine der ersten Frauen überhaupt im Stadthaus; wenn endlich die Telefon- und Telegraphenanlage fertig installiert war, sollten weitere folgen. Frauen bei der Polizei, und sei es auch nur für schlichte Hilfsdienste? Nicht jeder Polizist wusste, wie er mit ihnen umgehen sollte.
Anders als beim Meßbergmord war die Straße nicht erst kurze Zeit vor der Tat gekehrt worden. Die Holztwiete fehlte auf der Liste der Straßen, Plätze und Gassen, die regelmäßig von der städtischen Straßenreinigung gesäubert wurden. Jedenfalls hatte es den Anschein. Hier gab es viel zu suchen, ob auch etwas zu entdecken war, würde sich zeigen.
«Wer hat ihn gefunden?», fragte Henningsen und sah von seinem Notizbuch auf.
Dr. Winkler und Kriminalkommissar Ekhoff sahen sich fragend an. Sie waren beide durch die Dovenfleet-Wache benachrichtigt worden und hatten sich beeilt, in ihre Kleider und zum Fundort zu kommen. Diese Frage hatten sie noch nicht gestellt. Dr. Winkler, weil jeder unbekannte Tote für ihn wie eine Rechen- oder Rätselaufgabe war, die ihn ganz in Anspruch nahm, Ekhoff, weil er den Mann gleich erkannt und gewusst hatte, dass höchstwahrscheinlich Thomas Winfields Mörder sein Messer erneut angesetzt hatte, wenn auch auf andere Weise. Es konnte einfach kein Zufall sein, wenn der Mann, der die Taschenuhr des toten Engländers auf der Straße gefunden hatte, nun selbst zum Opfer geworden war. Es bestärkte Ekhoff in seinem Verdacht, die Uhr sei mit Absicht auf die Straße gelegt worden, damit sie jemand finde und als Mörder verdächtigt und verurteilt werde. Gerade einer wie Weibert? Oder extra Weibert? Wenn sein Steckenpferd bekannt war, seine Spiele mit Messern – dann war die Sache mit dem Fund der Taschenuhr womöglich auch kein Zufall, sondern solide Planung gewesen.
«Ich hab ihn gefunden», unterbrach eine tiefe, ans leise Sprechen gewöhnte Stimme Ekhoffs Überlegungen. Weder der Arzt noch die Polizisten hatten ihn bisher gesehen oder gar beachtet. Vigilanz-Offiziant Dräger hatte die ganze Zeit im nächsten Hauseingang gestanden, zugehört und zugesehen und war selbst wieder einmal unsichtbar gewesen.
«Dräger, Sie?», fragte Ekhoff, und Henningsen pfiff leise durch die Vorderzähne.
«Ja», sagte Dräger, durch das Publikum ging ein unmutiges Raunen, als der dunkel gekleidete Mann – es konnte nur ein Arbeiter oder Tagelöhner sein, vielleicht ein Altgeselle oder Kutscher – aus dem Hauseingang trat und so leise sprach, verdammt noch mal!, dass man schon in zwei Metern Entfernung kein Wort mehr verstand, nicht mal ungefähr.
«Tut mir so leid», sagte Dräger und zeigte mit dem Kinn auf den Toten. «Ich hab gehört, wie der Weibert wieder rumgeprahlt hat. Er wollte sich Ersatz für die entgangene Taschenuhr holen, hat er gesagt, da, wo die Uhr herkommt. Oder so ähnlich. Er hat ein bisschen wirr gesprochen.»
«Wirr?», fragte Dr. Winkler.
«Zu wenig Alkohol an dem Tag. Das macht manche genauso wirr im Kopf wie zu viel davon. Solche Reden sind ja nie gut, da dachte ich, kann nicht schaden, ein Auge auf ihn zu haben. Aber ich kann nicht rund um die Uhr aufpassen, und ich war zu spät. Einer wie der Weibert ist sonst nie so früh unterwegs. Ich bin heute Morgen vor
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