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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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noch dörflich anmutenden Quartieren entstand auch in Hammerbrook eine Arbeiterstadt. Wenigstens über den Kanälen gab es Licht und Luft, wenn Qualm und Gestank aus Fabriken und Schornsteinen nicht von Nebel oder Sommerhitze in die Straßenschluchten und Höfe gedrückt wurden. Hell war es auch in den Vorderzimmern der großen Etagenhäuser, die die breiteren Straßen säumten. Umso dunkler und muffiger lebte es sich in den Querstraßen, den engen Hinterhöfen und Terrassen.
    Christine von Edding-Thorau bewohnte nahe dem Mittelkanal eine Zweizimmerwohnung in der vierten Etage. Das Haus war groß und von schlichter Bauweise, ein Fenster ihrer Wohnung ging zum Kanal und den gepflasterten Straßen hinaus. Die Mietshäuser auf der gegenüberliegenden Seite waren schöner und solider gebaut, sie boten einige Balkone, Erker und höhere Fenster, denen man auch von weitem ansah, dass ihre Rahmen keinen oder zumindest weniger Wind und Regen durchließen. Einige Linden lockten die Vögel zum Morgen- und Abendgesang.
    Wenn man von der schäbigeren Kanalseite aus auf eine schönere Häuserzeile schaue, so tröstete Christine sich gern, war das noch mehr Hässlichkeit unbedingt vorzuziehen. Allerdings wäre ihr ein gepflegter Park lieber gewesen, aber der war hier ohnedies nicht zu haben. Umso mehr genoss sie bei ihrem täglichen Aufenthalt in der Innenstadt die bis weit in den Herbst hinein blühenden Anlagen um die Alster und den Botanischen Garten. Dort saß sie gerne mit ihrem Zeichenblock und vergaß Hammerbrook und die Welt. Hin und wieder zeichnete sie auch im Zoologischen Garten, selten die Tiere hinter ihren Gittern, obwohl sie von ihrer fremdartigen Schönheit fasziniert war. Die gerieten ihr stets zu traurig.
    Sie sah sich suchend in ihren beiden, durch eine Zwischentür verbundenen Zimmerchen um. Irgendwo versteckte sich der rosenholzfarbene Schal. Das Mobiliar im kleineren Zimmer bestand aus einem Bett, einem schmalen Schrank, einem Waschtisch und einer Kommode mit drei Schubladen, über der ein ovaler Spiegel hing. Den Schrankkoffer mittlerer Größe nicht zu vergessen, der alles enthalten hatte, was sie aus Livland mitgebracht hatte. Es war eng, die Tür des Schrankes ließ sich nur drei Handbreit öffnen. Er war ohnehin mager bestückt. Dafür lebte sie im vorderen Zimmer mit der Illusion von Geräumigkeit.
    Sie hatte den Tisch vor das Fenster gerückt, dort saß sie, wenn sie aß, malte und zeichnete, las oder einfach hinausschaute und nachdachte. Träumte? Sicher auch das, obwohl sie es nie so benannt hätte. Es gab zwei Stühle, einen bequemen Sessel, einen Ofen, daneben Platz für die Kohlenschütte; ein hübscher Vitrinenschrank für Geschirr und Gläser barg auch ein paar Bücher und eine Schachtel mit Fotografien. Die Gardinen vor beiden Fenstern waren von besserer und schwererer Qualität als bei den Nachbarn, bei Wind, der wehte hier oft und kalt, schützten sie vor Zugluft.
    Sie entdeckte den Schal unter dem Tisch, hob ihn auf und legte ihn sich um die Schultern. Sie liebte diesen Schal. Die aufgestickten silbrigen Glasperlen aus Gablonz gaben ihm eine Schwere, die dem feinen Gewebe alles Flüchtige nahm. Die kleine Taschenuhr, die immer in ihrem Gürtel steckte, zeigte, dass es Zeit war. Er war stets pünktlich, egal, wo sie sich trafen, obwohl er ein vielbeschäftigter Mann mit Verpflichtungen war, privaten wie beruflichen. Eigentlich mochte sie es nicht, wenn er herkam, um sie abzuholen, weil sie ihre Wohnung dann mit seinen Augen sah. Das war an schlechten Tagen ein blamables Gefühl, an guten ein trotziges. Heute war ein guter Tag.
    Christine von Edding-Thorau, das Fräulein aus großem, leider nur noch wenig begütertem livländischen Haus, war längst an diese Umgebung gewöhnt. Der Anfang war schwer gewesen, inzwischen hatte die Zuversicht gesiegt. Sie schaffte es, sparsam genug zu leben, um die Tochter einer der Nachbarsfamilien bezahlen zu können, damit sie die Wohnung sauber hielt und die Kleider wusch und bügelte. Das war ein großer Luxus, den sie als solchen zu schätzen wusste und genoss, aber in diesem Jahr war ohnedies alles ein bisschen einfacher und bequemer geworden.
    Sie klagte nie, es war das Leben, für das sie sich entschieden hatte. Und es war erst der Anfang. Noch höchstens ein Jahr, vielleicht schon im nächsten Mai, dann warteten die Ateliers in Paris. Ein großes Ziel verlangte seinen Preis. Sie war immer bereit, ihn zu zahlen. Es war ein Abenteuer und bisher immer

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