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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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öffnete sie und streckte Ekhoff beide Hände entgegen. «Wenn Sie’s nicht sehen, können Sie sie ruhig anfassen. Dann merkt es auch ein Blinder.»
    Bojes Hände zitterten. Nur leicht, mit diesen Händen konnte man noch eine kurze Zeit die Feile halten oder auch ein Messer führen, aber es waren keine Hände mehr, die ein Messer punktgenau ins Ziel schleuderten. Und auch keine, die es versuchen und auf den glücklichen Zufall hoffen konnten.
    «Schüttellähmung», erklärte er kühl. «Anfangsstadium. Da ist nichts zu machen. Ich hätte nie gedacht, das könnte mal zu was nütze sein.»
    Ekhoff hatte sich vorgebeugt und musterte im schwachen Licht die breiten Hände. Das Zittern war zu erkennen und so fein, dass er es unmöglich simulieren konnte. Henningsen war weniger zurückhaltend. Er umfasste Bojes Rechte und nickte. «Es zittert bis auf den Knochen», sagte er.
    Was herzlos klang, war nur Ausdruck seiner Enttäuschung. Er hatte unbedingt siegreich sein wollen und einen Mörder festnehmen. Zumindest einen höchst verdächtigen Mann.
    «Trotzdem», sagte Ekhoff, «wie steht es mit vergangenem Donnerstag, genauer gesagt, ganz früh morgens, fast noch in der Nacht?»
    Boje blickte ihn verständnislos an. «Ganz früh morgens? Also, um halb sechs muss ich hier strammstehen, im Winter noch früher, dann muss der große Kessel für die Heizung befeuert werden. Aber jetzt reicht halb sechs. Also Donnerstag ganz früh morgens hab ich zuerst noch geschlafen, und dann war ich hier und hab im Haus nach dem Rechten gesehen, das ist meine Pflicht, Treppe fegen, lüften, nach dem Müll sehen und ob wieder die Ratten und die Katzen dran waren, sind beides üble Plagen. Solche Sachen eben. Irma war an dem Morgen nicht da.»
    «Irma?»
    «Die feudelt und putzt die Fenster.»
    «Das heißt, es hat Sie niemand hier gesehen.»
    «Kein Mensch. Aber auch nicht woanders. Weil ich hier bei meiner Arbeit war.»
    «Wie lange sind Sie hier Hauswart?», fragte Ekhoff. «In diesem und im Nachbarhaus, oder?»
    «Genau. Das nebenan ist größer, aber die Wohnung ist hier. Sechs Jahre mach ich das jetzt, denk ich mal. Ich tu mich da immer schwer, die Jahre gehen so schnell rum. Gerade noch war Weihnachten, und schon …»
    «Ja, ja, immer schneller. Was haben Sie vorher gemacht, zwischen Ihrer Zeit als Artist und dieser Hauswartstelle? Wann haben Sie überhaupt mit der Messerwerferei aufgehört?»
    «Das ging so nach und nach. Wenn einen Mann seine Kunst nicht mehr ernährt, muss er sich nach was anderem umgucken. Ich hatte auch das ewige Rumziehen satt. Ab und zu hab ich noch geworfen, auf St. Pauli oder auf Jahrmärkten. Aber in dem Geschäft geht nur ganz oder gar nicht. Da muss man ständig in Übung bleiben. Dann habe ich eben gearbeitet, was sich so ergab. Ich war schon immer gut in der Arbeit mit Metall, da gibt’s ständig ’ne Werkstatt, die einen zur Aushilfe braucht. Oder auf dem Land, wenn die großen Bauern ihre Geräte und Maschinen repariert haben müssen. Ich hab nie gehungert. Und falls Sie das denken – klauen musste ich auch nie. Gute Arbeit ernährt den Mann.»
    Ekhoff gab Henningsen ein Zeichen zum Aufbruch. «Dann hoffe ich für Sie, dass das noch lange so bleibt.»
    Boje grinste, es sah nicht heiter aus.
    Henningsen wollte nicht so einfach aufgeben. «Haben Sie Ihre Wurfmesser noch?»
    Boje schnaufte ungehalten. «Längst verkauft», knurrte er, «vor Jahren schon. Für ’nen gebrauchten Wintermantel und Stiefel.»
    * * *
    Alles kann sich als Irrtum herausstellen. Nichts darf jemals nach außen dringen.
    Als Frau Lindner die Besucherin meldete, starrte Hetty auf diese Zeilen und versuchte zu verstehen, was sie gelesen hatte. Und was es bedeutete. Sie verstand es, es durfte trotzdem nicht wahr sein.
    Sie schob das Tagebuch in die Schublade zurück, erhob sich, steif wie eine Marionette, und ging durch den Garten, um ihren Gast zu empfangen.
    Christine von Edding-Thorau saß auf dem Besucherstuhl im Entree, in der Hand ein Glas Rhabarberlimonade zur Erfrischung nach der Fahrt mit dem Pferdeomnibus. Hut und Handschuhe lagen mit der Kostümjacke auf dem zweiten Besucherstuhl. Nun erleichterte es Hetty, sie zu sehen, einen Gast aus der starken, heilen Welt mit Neugier und Unbekümmertheit im Blick. Als könnte die Botschaft aus dem letzen Tagebuch auf diese Weise wieder verschwinden.
    Sie zöge einen späteren Lunch vor, erklärte Christine munter, sie sei viel zu gespannt, die Bilder zu inspizieren.
    Wie einige Tage

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