Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Künstler zu unterstützen. Die Vorstellung, er habe damit handeln wollen, war zu kurios, und wenn Felix’ Einschätzung richtig war, wäre das kaum der Mühe wert gewesen.
Da war noch etwas, das Felix gesagt hatte. Paris. Als habe er schon auf diesen kurzen ersten Blick Gemälde von dortigen Malern in der Sammlung entdeckt. Dann musste er sich gut auskennen mit der Malerei der Zeit. Wie vordem Rom war nun längst Paris der bedeutendste Ort für die Malerei und zog auch Bildhauer, Keramiker, neuerdings sogar Fotokünstler an. Aus ganz Europa, selbst aus Amerika pilgerten junge Maler und sogar Malerinnen an die Seine. Warum gerade dorthin? Bevor sie entscheiden konnte, ob ihr Unwissen ein Mangel an Bildung oder an Phantasie war, kam Frau Lindner die Auffahrt herauf, einen gutgefüllten Korb am Arm, als sei er nur ein federleichtes samtenes Handtäschchen. Nicht die Köchin folgte der Hausdame, sondern ein Mann im schwarzen Anzug, das von der Wärme gerötete Gesicht unter dem schwarzen Bowler wirkte jung. Die Taschen des Jacketts waren leicht ausgebeult, das nahm sie als Erstes wahr und vergaß es nie wieder. Diese ausgebeulten Taschen. Denn es war auch ein Besuch von der Art, den man nie vergisst.
«Guten Morgen, Frau Winfield», hörte sie Frau Lindner mit ihrem üblichen, kühl verbindlichen Ton, «hat Birte Sie gut bedient? Ich habe an der Pforte den Herrn Kommissar getroffen. Er hat sich extra aus Hamburg hierheraus bemüht, um Sie zu sprechen. Ich habe ihn an Ihren Herrn Onkel verwiesen, aber …»
«Danke, Frau Lindner. Mein Onkel wird mit Wichtigerem beschäftigt sein als mit meinen Angelegenheiten, besonders jetzt zur Börsenstunde.» Henrietta fand es an der Zeit, zu zeigen, dass sie ihre Entscheidungen selbst traf. Sie hatte keine Vorstellung, was ein Kommissar mit ihr zu besprechen hatte, was für eine Art Kommissar er überhaupt war. Aber sie war neugierig, und vor allem – jetzt war ihr jeder Besuch recht. «Wir werden auf der Terrasse reden», fuhr sie leichthin fort, «es ist ein so angenehm milder Tag. Ein Krug Zitronenlimonade wäre die richtige Erfrischung nach einem langen Weg. Wenn Sie so freundlich sein wollen, Frau Lindner.»
* * *
Von Nordwesten her zogen Wolken auf und schoben sich wie ein Schleier von trübem Dunst über den Himmel. Es war kühler geworden. Kriminalkommissar Ekhoff schwitzte auf seinem Weg zurück zum Stadthaus trotzdem, was nur zum Teil an seinen raschen Schritten lag. Was hatte er sich nur dabei gedacht, einfach nach Nienstedten hinauszufahren? Natürlich musste ihr die Nachricht gebracht werden, und es war unvermeidlich, die Witwe des Mordopfers zu befragen. Aber zuerst hätte er bei ihren Verwandten vorsprechen müssen, bei den Grootmanns, am besten im Kontor in der Speicherstadt. Er aber hatte sich eifrig und ohne nachzudenken schnurstracks auf den Weg zu Mommsens Haus gemacht.
Das Haus und sein Garten waren ihm fast so vertraut wie der Blick über den Fluss. Nur die Eiben schienen größer als in seiner Erinnerung. Er hatte den Mann in der gelben Villa nicht wirklich gekannt, das wäre auch seltsam – der Sohn einer Flussfischerwitwe und ein wohlhabender Privatier und Gelehrter. Aber er verdankte ihm unendlich viel. Zweimal im Jahr hatte er damals bei ihm erscheinen müssen, im Frühjahr und im Herbst, und am fein gedeckten Tisch mit ihm gegessen. Er hatte diese Besuche so sehr gefürchtet wie herbeigesehnt. Jedes Mal bangte er, der reiche Herr habe nun entschieden, das Schulgeld nicht mehr zu bezahlen, ihn nicht länger zu protegieren. Es hätten sich immer Gründe gefunden.
Herr Mommsen war stets gut unterrichtet gewesen. Er hatte ihn für seine Leistungen gelobt und zu weit gesteckten Zielen ermuntert, ihn nebenbei Tischmanieren gelehrt und auf andere Patzer im Benehmen hingewiesen, ohne den linkischen Jungen herablassend zu behandeln. So hatte Paul das Haus am Elbhang nach jedem Besuch erschöpft, aber froh und zuversichtlich verlassen. Gut möglich, dass es der Garten und die Villa waren, die freundliche Atmosphäre, die seinen Ehrgeiz am stärksten anspornten. Er hatte nie etwas Erstrebenswerteres gesehen.
Womöglich hatte Herr Mommsen das bezweckt. Wenn der Junge sich mit verstohlener Neugier umsah, hatte er aufmunternd genickt, ihm den stets makellos polierten Sextanten aus Messing erklärt, Länder mit aufregend fremd klingenden Namen auf dem Globus gezeigt oder die Ölbilder im Gartenzimmer erläutert. Solche Bilder hatte der Junge vom Fluss nie
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