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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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zuvor gesehen, Landschaften in zauberischem Licht.
    Dennoch hatte er bei allen Besuchen etwas vermisst – das Mädchen, das im Sommer, als er zwölf Jahre alt gewesen war, einer neugierigen Elfe gleich durch die Hecke und hinunter an den Strand gekommen war. Er hatte bald gewusst, wo Hetty wohnte, welches Haus sich hinter der Hecke mit dem Loch verbarg und, als die Einladungen begannen, immer gehofft, sie dort zu sehen, vielleicht sogar mit ihr am Tisch zu sitzen, nun, da er wusste, wie Messer und Gabel manierlich zu handhaben waren, wie man sich einer Serviette bediente oder dass Ellbogen nicht auf den Tisch gehörten. Sie war nie da gewesen.
    Nur wenige wussten, dass Paul Ekhoff Sophus Mommsen gekannt hatte. Von seinem Tod hatte er aus der Zeitung erfahren, seine Mutter, der die Nachricht sicher zugetragen worden war, hatte es ihn nicht wissen lassen. Sie hielt nichts davon, aus dem Leben auszubrechen, in das man hineingeboren war, und hatte von Anfang an so getan, als existiere der Mann in der gelben Villa über der Elbe nicht.
    Paul Ekhoff hingegen war immer stolz darauf gewesen, dass ihn ein wohlhabender Mann aus angesehener Familie förderte, und hatte es trotzdem vermieden, darüber zu reden. Es konnte als Aufschneiderei verstanden werden, später als vermeintlicher Beweis, dass er sein rasches Vorankommen einzig jahrelanger Protektion verdankte.
    Seine Frau wusste es natürlich, schon damals. Als durch und durch praktische Person war Martha überzeugt, niemand komme ohne einen, der den Steigbügel halte, von unten nach oben; wer solche Unterstützung ablehne, beweise weniger Ehrbarkeit als Dummheit, die Welt sei, wie sie sei. Martha war tüchtig. Und zielstrebig. Manchmal dachte er, es reiche für sie beide. Ein Fehler, wie er ihn sich heute erlaubt hatte, wäre Martha niemals unterlaufen.
    Was sollte er sagen, wenn sie ihn im Stadthaus fragten, woher er gewusst habe, wer dieser Mr. Winfield war und wo seine Verwandten, seine Ehefrau zu finden waren? Woher er überhaupt gewusst habe, dass sie in diesen Tagen nicht in England war, sondern in Nienstedten an der Elbe? Letzteres hatte er nicht gewusst, er hatte es nur als selbstverständlich vorausgesetzt. Es musste nicht einmal jemand danach fragen, es hatte im Bericht zu stehen.
    Als die nächste Pferdebahn vorbeirollte, sprang er auf und zeigte dem Schaffner seinen Ausweis, der ihm wie allen Polizisten freie Fahrt gewährte. Er ließ sich auf eine Bank fallen und schloss die Augen. Am Altonaer Bahnhof war ein Telefon- und Telegraphenamt, wo er sich mit dem Grootmann’schen Kontor verbinden lassen konnte. Mindestens einer der Herren würde dort sein, mit einer schnellen Droschke dauerte es kaum länger als eine halbe Stunde bis zu Mommsens Haus.
    Endlich spürte er, wie er im ratternden Schaukeln des Wagens und dem Klappklapp der Hufe ruhiger wurde. Etwas war zu Ende gegangen. Mommsens Tod erfüllte ihn mit Trauer, er würde nie vergessen, was er ihm verdankte. Aber nun erst war die Leine gekappt, erst jetzt fühlte er sich allein für seinen Weg verantwortlich. Die Erkenntnis überraschte ihn.
    Allmählich löste sich auch die drängende Spannung, mit dem Besuch bei Henrietta Winfield einen Fehler gemacht zu haben. Wie hatte Jowinsky gesagt? Wir alle machen Fehler, auch als Polizisten. Damit müssen wir leben.
    Jetzt erleichterte ihn, dass sie ihn nicht erkannt hatte. Jeder blieb an seinem Platz, es gab keine Brücken. Sie hatte ihn und die anderen Kinder vom Strand längst vergessen.
    * * *
    Henrietta Winfield saß auf der Terrasse unter der Markise und dachte nichts. Sie sah auch nichts, weder den sommerlichen Garten mit seinen Rosen und dem Pavillon, nicht das Marmorbecken mit dem sachte plätschernden Brunnen, nicht die schützenden Hecken. Und sie hörte nichts, da waren nur die drei in ihrem leeren Kopf unablässig kreisenden Worte. Thomas ist tot.
    Mehr nicht, nur: Thomas ist tot Thomas ist tot Thomas ist tot.
    Sie saß ganz gerade, die Fotografie, die der Polizist mitgebracht hatte, in ihren Händen. Sie war so leicht.
    Natürlich, dachte sie vernünftig, im leichten Holzrahmen, damit sie sein Gepäck nicht beschwerte. Thomas ist tot. Thomas ist tot.
    Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, und Hetty sagte laut: «Thomas ist auch tot, mein Mann.»
    Da war noch etwas, aber ihr Kopf weigerte sich, es zu denken, ihr Mund, es auszusprechen.
    «Wie furchtbar», sagte eine weibliche Stimme. «Es tut mir so leid.»
    Frau Lindner bemühte sich vergeblich,

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