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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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morgendlicher Eile an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Ein Menschenstrom. Als sei er ein Findling im Bach und das Wasser umflösse ihn unaufhaltsam.
    Er würde die Scharte schon wieder auswetzen. Punktum. Ekhoff zog die verrutschten Manschetten aus den Jackettärmeln, reckte die Schultern und schritt energisch aus.
    Er kannte den Weg im Schlaf, wie jeden in der Stadt, also lief er rasch, Hindernissen wie Pferdeäpfeln, einem fauligen Kürbis, Schubkarren, bettelnden Kindern oder vor den Läden aufgebauten Kisten und Säcken mit Obst, Kartoffeln, Heu oder Briketts geschickt ausweichend. Die frische Morgenluft klärte seinen Kopf, vertrieb das Frösteln und gab ihm seine Entschlossenheit zurück. Erst am Großneumarkt sprang er auf einen heranrollenden Pferdeomnibus. Der Wagen war gut besetzt, auch die Bänke auf dem Dach.
    In der Nähe des Zentral-Viehmarktes am nordwestlichen Rand des Heiligengeistfeldes sprang er wieder ab, der penetrante Geruch von zusammengepferchten Rindern, Schweinen und Schafen stieg ihm in die Nase. Er hatte schon immer gefunden, dass Fisch sehr viel besser roch als dieses ständig kotende Vieh.
    Rasch überquerte er den Neuen Pferdemarkt. Gerüche exotischerer Tiere stiegen ihm in die Nase. Hinter einem Hofdurchgang hatten die Hagenbecks ihren Tierpark, viel kleiner als der weitläufige Zoologische Garten am Dammtor mit seinen großen, orientalisch anmutenden Häusern und überdachten Zwingern und längst nicht so elegant angelegt, aber im Eintrittsgeld billiger. Hagenbeck machte seinen Profit nicht mit dem Tierpark, sondern mit dem Handel exotischer Tiere aller Art, vom Papagei über Hyänen, Affen, Schlangen und Löwen bis zu Elefanten und Giraffen, in die halbe Welt. Und mit seinem Zirkus, der ‹auf amerikanische Art› in einem riesigen Zelt stattfand und ständig mit der Eisenbahn oder auf Wagen durch die Welt reiste. Die besondere Art der ‹zahmen› Raubtierdressur war zur größten Attraktion geworden. Und die Menschen von fremden Kontinenten, diese Wilden, die er in ganzen Gruppen dem zahlenden Publikum präsentierte. Ekhoff hatte nie Aufregenderes gesehen als die Ceylonesen mit ihrer Elefantenherde und die Mongolen mit ihren Pferden.
    Er bog in die vor einigen Jahren aus gegebenem Anlass von Curvenstraße in Cirkusstraße umbenannte Gasse ein.
    ‹Suchen Sie im Zirkus oder im Varieté›, hatte Dr. Winkler gesagt. Nur zwei Varietés auf St. Pauli, eines am Spielbudenplatz, das andere nahe den Landungsbrücken, kündigten in ihren Programmen Messerwerfer an. Die hatte er Henningsen überlassen. Weil die Gegend nicht immer angenehm für einen Kriminalisten war, begleitete ihn der uniformierte, grimmig aussehende Wachtmeister Schütt. Außerdem ließ Schütt sich nichts vormachen, er verstand sich besser als der feinsinnige junge Polizeiassistent auf das Varietévolk und die St. Paulianer. Die einen wie die anderen hielten sich von jeher für besonders und gaben sich große Mühe, das beim geringsten Anlass zu beweisen.
    Ekhoff versprach sich dort wenig Erfolg. Artisten hielten zusammen, jeder würde lückenlos nachweisen, dass er in jener Nacht meilenweit vom Meßberg entfernt gewesen war. Womöglich gab es jemanden, der sich in einem dunklen Flur als Denunziant anbot. Wer die Wahrheit sprach, würde sich dann zeigen. Wie immer. Es konnte ein Anfang sein.
    Die beiden großen Zirkustheater der Familien Busch und Renz wollte Ekhoff selbst besuchen. Deren Artisten und Tiere reisten im Sommer durch Europa oder gastierten in ihren anderen festen Spielstätten, in Wien oder Breslau zum Beispiel, in Bremen oder Berlin. Das erst vor drei Jahren eröffnete Theater des Zirkus Busch war ein ungewöhnlicher Bau mit dreitausend Plätzen, zwölfeckig, mit modernem Wellblech verkleidet, das pompöse Eingangstor hätte jedem Schloss Ehre gemacht. Die grandiosen Revuen, die Paul Busch mit seiner Truppe bot, waren legendär. Wenn der Zirkus der Familie Renz am anderen, am südlichen Ende von St. Pauli auch fast doppelt so vielen Menschen Platz bot, hieß es immer öfter: Das gibt es nur bei Busch. Bei der großen Pferdedressur waren fünfzig Pferde in der Manege, es gab Darstellungen vom abenteuerlichen Leben in fernen Ländern und Kontinenten, Wasserpantomimen und Raubtierdressuren, ein Orchester, Tänzerinnen und Clowns, Feuerwerk und Wundererscheinungen mit Hilfe des neuen elektrischen Lichts.
    Ekhoff hatte gehört, eine der besonders aufwendigen Revuen, die das Leben am Hof eines maßlos

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