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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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alle lange darauf gewartet, dass sie sich genug ausgeruht und ihr Fieber überwunden hat. Deine Fürsorge ist ganz in meinem Sinne, aber wenn sie in den Garten gehen oder unter der Sonnenmarkise sitzen kann, kann sie auch ein paar Fragen beantworten. Es wird schmerzlich für sie sein, das wird es jedoch bleiben, und es ist zu wichtig, um es weiter aufzuschieben. Ich bin sicher, sie ist meiner Meinung. Hetty mag eine stille kleine Person sein, ein Hasenfuß ist sie nicht. Das war sie nie.»

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    Kapitel 7
    Montag, mittags
    H enrietta fühlte diese wunderbar leichte, körperlose Müdigkeit, die keine Sorgen zuließ, keine klaren Gedanken – und immer nur sehr kurz dauerte. Viel zu kurz. In der Spätsommersonne war es warm, in dem bequemen Lehnstuhl im Halbschatten unter der Buche behaglich. Etwas störte dennoch. Sie fühlte sich beobachtet. Viel lieber wäre sie in den Schlaf zurückgerutscht, in diesen tagelangen Dämmer, nur von kurzen halbwachen Stunden unterbrochen. Das war unmöglich. Die Schonzeit war vorbei. Also öffnete sie die Augen. Und lächelte.
    Zwei himmelblaue Augenpaare musterten sie mit dem ernsthaft forschenden Interesse, das Kinder auf dem Rücken liegenden schillernden Käfern, halbtoten Regenwürmern oder haarigen dicken Raupen entgegenbringen. Die Augen gehörten einem Jungen und einem Mädchen, beide gerade vier Jahre alt und semmelblond, Matrosenkleid und Matrosenanzug, weiß mit dunkelblauen Streifen an Ärmeln und Kragen. Sie waren barfüßig wie Kinder vom Fluss, allerdings waren ihre kleinen Füße noch sauber, so stand zu vermuten, dass die Kinder gerade erst ihrer Aufsicht entkommen waren und die Schuhe irgendwo in der Nähe auf dem Rasen lagen.
    «Du bist die arme, arme Tante aus England», stellte das Mädchen fest, und ihr Bruder ergänzte: «Wir dachten, du bist noch viel älter. Bist du mit einem großen Schiff gekommen? Hat es gedampft? Und laut getutet?»
    Hetty war entzückt. Vor ihr standen Lorenz und Lisette, Ernst und Marys Zwillinge. Sie war ihnen nie zuvor begegnet, aber Papa hatte ihr ein Foto der beiden geschickt. Darauf waren sie gerade zwei Jahre alt, doch auch jetzt noch eindeutig zu erkennen. Nach Papas Meinung glichen beide Ernst aufs Haar, dem konnte sie nicht zustimmen. Vielleicht war es in ihren ersten beiden Jahren so gewesen. Es hieß, Kinder glichen zuerst ihrem Vater, erst später auch der Mutter oder den Großeltern, womöglich sogar Tanten und Onkeln. Wobei die Sache mit Letzteren für gewöhnlich zum Zuge kam, wenn sie sich schlecht benahmen oder überhaupt missraten waren.
    «Ja, ich bin die Tante aus England, und ich bin nicht arm, aber ein bisschen traurig.»
    «Warum?», fragte Lisette prompt, und Lorenz drückte ihr seinen Ellbogen in die Seite. «Das fragt man nicht», flüsterte er. «Das ist privat.»
    «Stimmt», sagte Hetty, «das ist privat. Aber weil wir zu einer Familie gehören und hier in eurem privaten Garten sind, darf man es doch fragen. Ich bin traurig, weil mein Papa gestorben ist. Das wisst ihr sicher.»
    «Klar. Das wissen wir. Er ist im Himmel. Und der andere Mann auch.» Lorenz straffte die kleinen knochigen Schultern und verschränkte die Hände hinter dem Rücken, als müsse er Haltung annehmen. «Wir sollen nicht davon reden. Darfst du das?»
    Lisette sah ihn an und kicherte. «Zinnsoldat», erklärte sie Hetty schlau, «er will angeben.»
    Lorenz ignorierte diese verräterische Verleumdung seiner meistens – jetzt gerade aber nicht so sehr – geliebten Schwester mit Schweigen, Hetty fiel auch nichts ein, was sie darauf sagen konnte. Sie kannte sich weder mit Vierjährigen noch mit Zinnsoldaten aus.
    «Lisette! Lorenz! Ihr sollt Tante Henrietta doch nicht stören! Sie war sehr krank, das ist sie immer noch.» Mary Grootmann kam über den Gartenweg vom Seitenflügel oder aus dem hinteren Teil des Parks herangeflattert. Der mattgraue, mit silbernen Streifen durchzogene Stoff ihres Hauskleides war so leicht und in vielen Stufen und Biesen genäht, die Eile ihrer Schritte gaben ihr darin wahrhaftig die Anmutung einer flatternden Silbermöwe. Sie sah sich um – zweifellos nach der pflichtvergessenen Nurse. «Verzeihen Sie, Cousine Henrietta, die beiden sind wieder Miss Studley entwischt, dabei hatten sie mir fest versprochen, brav zu sein und nicht zu stören.»
    Mary war atemlos, ihre Blässe wurde nur von ihren hektisch geröteten Wangen durchbrochen.
    «Da gibt es nichts zu verzeihen», versicherte Hetty,

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