Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
Voraussicht.
Die Hochzeitsreise war übrigens nicht nach Florenz und Venedig gegangen, wie Hetty es sich erträumt hatte, mit einem Zwischenhalt in Verona am liebsten, um unter den vielen Balkonen der alten Stadt den von Julia und Romeo zu entdecken.
Aber immerhin waren sie übers Meer gereist, mit dem Dampfboot zu der Insel Guernsey vor der französischen Küste. Also fast schon nach Frankreich. Doch, es war eine wunderbare Reise gewesen. Natürlich, die ersten Wochen ihrer Ehe waren das reine Glück. Zwar hatte er sie häufig wegen irgendwelcher Geschäfte allein gelassen, die leider auch in den Ferien nicht ruhen konnten. Er hatte das bedauert, als junger Ehemann und zukünftiger Familienvater müsse er aber mehr denn je an die Zukunft denken. Also hatte sie lange Spaziergänge entlang der hügeligen Wiesen gemacht oder am Strand mit den kleinen Buchten, immer im Wind, das hatte sie an ihr altes Leben an der Elbe erinnert.
Ja, versicherte sie sich auch jetzt wieder, diese Zeit war wunderbar gewesen. Es war ganz allein ihr Fehler, dass sie sich die Ehe so romantisch und unrealistisch vorgestellt hatte. Inzwischen wusste sie es besser, nun war es ohne Belang. Nun war sie eine erwachsene Frau von zweiundzwanzig Jahren, eine Waise und eine Witwe. Und ihr Erbe, nämlich ihre Mitgift, der Nachlass ihres Vaters und auch Thomas’ Vermögen waren verloren.
Ihr wurde schwindelig – das lag gewiss nur an dem schaukelnden Alsterdampfer. Nachdem die Grootmanns sie mit dem Stand ihrer Finanzen vertraut gemacht hatten und sie alle einen recht wortkarg verlaufenden Lunch im Wintergarten eingenommen hatten, war sie zu einem langen Spaziergang aufgebrochen. Es war ihr gelungen, jede Begleitung zu verweigern. Mit einer Portion Halsstarrigkeit konnte man mehr erreichen, als sie gedacht oder früher gewagt hatte.
Sie war immer am Ufer entlanggelaufen, und als an einem der Anleger gerade ein Alsterdampfer haltmachte, war sie eingestiegen, ohne besonderes Ziel. Bis zum Jungfernstieg dauerte es keine halbe Stunde und war wie eine Pause vom wahren Leben, man musste keine Entscheidungen treffen, nichts tun, nur die Hände in den Schoß legen und schauen. Das Ziel kam von ganz allein näher und näher.
Es war die erste Alsterfahrt nach vielen Jahren, normalerweise hätte sie jede Minute genossen, den unverstellten Blick auf die Stadt, auf dem Wasser Boote mit Segeln oder paffenden Schornsteinen, die kleinen dicken und die sportlichen schlanken Ruderboote, auch Freizeitsegler kreuzten über den See, dazwischen schaukelten todesmutig die Enten und Möwen, Wildgänse und Schwäne. Sie sah das alles, nichts berührte sie. Und auch was sie gerade erfahren hatte, berührte sie noch wenig. Das Haus über der Elbe, hatte Felix gesagt, werde ihr sicher noch gehören, und Ernst hatte hinzugefügt, er könne sich um den Verkauf kümmern, an Interessenten werde kein Mangel sein. Da hatte Lydia eingewandt, das habe nun wirklich keine Eile. Es war das einzige Mal, dass sie sich eingemischt hatte, Hetty war ihr dankbar gewesen.
Plötzlich war sie auf makabre Weise froh, dass es etwas gab, das sie mehr als alles andere beschäftigte, nämlich wer der Mann war, mit dem sie zwei Jahre ihres Lebens geteilt hatte und der auf so unfassbare Weise daraus verschwunden war.
Der Fährdampfer fuhr nun wieder langsamer, die Maschine stampfte und schnaubte, hustete eine dicke dunkle Wolke aus dem Schornstein, die der Wind umgehend zerzauste, dann stieß die Bordwand gegen den Anleger bei der Lombardsbrücke.
Lombardsbrücke? Hetty las das Schild und raffte eilig ihre Röcke. Gerade noch rechtzeitig, bevor der Dampfer wieder ablegte, sprang sie an Land.
Sie brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. So vieles hatte sich verändert, seit sie zuletzt hier gewesen war. Aber die Binnenalster lag immer noch so quadratisch in der Sonne, von breiten Straßen mit prächtigen Gebäuden gesäumt, am gegenüberliegenden Ufer der Jungfernstieg mit dem Restaurant-Pavillon. Dorthin tuckerte der Dampfer nun weiter, und von dort kam schon der nächste in der Gegenrichtung heran, unterwegs zum Uhlenhorster Fährhaus, nach Winterhude oder durch die Kanäle nach Eilbek oder Eppendorf. Er sah eifrig aus, immer bereit, sich vorzudrängeln.
Für diesen hübschen Anblick fehlte ihr jetzt die Muße. Nach wenigen Schritten stand sie am Alsterdamm und sah sich um. Gegenüber auf einer ehemaligen Bastion stand die Kunsthalle. Dann war sie jetzt auf dem doppelt richtigen Weg. Auch
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