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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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die Malschule musste hier ganz in der Nähe sein.
    Sie überquerte zwischen einem Brauerei-Fuhrwerk und einer staubigen Droschke rasch den Alsterdamm, bog in den Glockengießerwall ein und entdeckte schon neben einem der nächsten Portale das Schild: Damenatelier für Zeichnen und Malen, V. Röver, 3. u. 4. Etage.
    Hetty blickte, nun doch zögernd, an der Fassade eines dieser großen Geschäftshäuser hinauf, die zunehmend das Bild der Innenstadt bestimmten, und wandte sich wieder nach der Straße um. Ein Eisenbahnzug zuckelte dampfend und stampfend im Schritttempo in der Mitte der Fahrbahn auf seinem Weg vom Hannoverschen Bahnhof über die Lombardsbrücke und weiter bis Altona. Der Uniformierte, der zur Warnung der Passanten, Wagen und Kutschen mit einer Fahne vorweg marschierte, pfiff kurz und grell. Hektisch befreite die weiter voraus arbeitende Ritzenreinigerin noch ein kurzes Stück der Schienen von Sand, Unrat und Pferdeäpfeln, bevor sie zur Seite trat und sich müde auf ihren Besen stützte.
    Hetty könnte der Bahn nun folgen. Sie könnte jetzt, sofort, einfach wieder gehen. Aber so etwas kam nicht mehr in Frage, das hatte sie sich versprochen.
    Vor dem Nachbarhaus hielt eine Kutsche. Es war ein leichtes einspänniges Gefährt, und in dem Mann, der die Zügel hielt, erkannte sie Cousin Felix. Er war für das Gespräch mit ihr in die Grootmann’sche Villa gekommen und nun unterwegs zu seiner Kanzlei. Seine Wohnung war hier ganz in der Nähe, die Kanzlei – das wusste sie nicht.
    Er war nicht allein, neben ihm saß eine Frau. Hetty sah nur Schultern in einer weinroten Bluse und einen breitkrempigen sandfarbenen Hut mit violettem Band. Sie fühlte sich, als blicke sie durchs Schlüsselloch in ein fremdes Zimmer, wandte sich rasch ab und schob die schwere Haustür auf.
    Nach der Sonnenhelle des Tages empfing das Entree seine Besucher mit Düsternis. Die Treppe war zu erkennen, breit, aus massivem dunklem Holz, das Geländer einfach, aber hübsch gedrechselt. Ihre Augen hatten sich rasch an das schummerige Licht gewöhnt, das Entree wirkte nicht herrschaftlich, aber auch nicht eng und muffig. Die Wände schmückten in halber Höhe ein mit Hilfe einer Schablone gemaltes breites Band von geometrischen roten Mustern. Es sah frisch und lebhaft aus. Nur am Ende der Diele ließ ein Fenster vom Innenhof etwas Licht herein.
    «Wollen Sie zu Röver? Dritte Etage.»
    «Ich weiß», murmelte Hetty und versuchte, das Gesicht des Mannes zu erkennen, zu dem die Stimme gehörte.
    «Wenn Sie’s wissen, gehen Sie einfach rauf. Sie sind neu, was? Der Empfang ist auch oben. Die Mittagspause ist vorbei, die sind fast alle schon da.»
    Der Mann, niemand hätte ihn als Herrn bezeichnet, war aus einer schmalen Tür neben der Treppe getreten, unter der Glasscheibe war ein weißes Emailschild mit der schwarzen Aufschrift Hauswart angebracht. Er war von kräftiger Gestalt, sein dichter Kinn- und Backenbart war einmal schwarz gewesen, nun war er grau, seine Kleider kamen der Kluft eines Arbeiters nah. Er musterte Hetty mit missmutiger, aber unverhohlener Neugierde.
    Vielleicht hatte Thomas auch hier gestanden, hatte sich auch so mustern lassen und war dann hinaufgegangen. Oder gleich wieder zur Tür hinaus, weil es die falsche Adresse war? Vielleicht hatten hier unten diese Karten ausgelegen, zur Werbung …
    «Wenn Sie zum Augendoktor wollen, der hat seine Praxis in der zweiten Etage. Aber da ist keiner. Der Doktor macht diese Woche Ferien. Sylt. Ganz plötzlich. Kann auch länger dauern. Ständig kommen Patienten und fragen dann, warum geschlossen ist. Als hätt ich nichts Besseres zu tun.»
    Bevor er wieder in seiner Souterrainwohnung oder -werkstatt – was immer sich hinter der Tür verbergen mochte – verschwand, schwang die Haustür auf, und eine sehr schlanke junge Frau unter einem großkrempigen sandfarbenen Hut mit violettem Band stürmte herein. Anders war es nicht zu bezeichnen. Obwohl Damen natürlich niemals stürmen sollten, wirkte sie trotzdem wie eine Dame, mit ihren schmalen, etwas herben Gesichtszügen, dem selbstbewussten, zugleich offenen und Distanz gebietenden Blick, der ganzen Haltung. Über ihrer linken Schulter hing an einer Kordel ein großer bunter Samtbeutel, unter dem rechten Arm klemmte eine verschnürte Zeichenmappe.
    «Ist es nicht ein wunderbarer Tag, lieber Boje? Ich war am Alsterufer, das sollten Sie auch versuchen, Sie alter Griesgram. Es ist so schön dort, der Himmel so hoch, da wird einem vor

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