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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Wohlsein schwindelig. Ich mag diese Zeit, wenn der Sommer müde wird, das lässt so satte Farben entstehen, ich weiß gar nicht, wie … oh, Besuch? Und ich plappere wie ein Kind. In Ihrem dunklen Kleid sind Sie in diesem Dämmerlicht fast unsichtbar.»
    In dem Hauswart war bei ihrem Eintreten eine erstaunliche Wandlung vorgegangen. Seine Schultern hatten sich gestrafft, und er wuchs gleichsam um zehn Zentimeter, sein Gesicht, eben noch verschlossen und abweisend, war nun beinahe heiter.
    «Sie will auch in die Schule, Fräulein von Edding-Thorau», erklärte er und fügte nuschelnd hinzu: «Keine Post heute.»
    «Danke, Boje, ich weiß schon. Kommen Sie einfach mit», wandte sie sich wieder an Henrietta, schon den Fuß auf der ersten Stufe. «Ich bin spät dran, vorstellen können wir uns oben. Wir müssen uns beeilen, stört Sie das? Dann bleiben Sie einfach zurück. Ich hasse es, zu spät zu kommen.»
    Ihr Lachen klang nach Übermut, als bedeute diese letzte Bemerkung, dass ihr gerade das immer wieder passiere und sie tatsächlich wenig störe.
    Schon nach dem ersten Treppenabsatz kam ihnen dieser besondere Geruch entgegen, der Hetty von früher vertraut war. Eine ihrer Gouvernanten hatte sich gut auf das Malen mit Aquarellfarben verstanden und sie ein wenig darin unterwiesen, später im Pensionat hatte es sogar einen eigenen Atelierraum gegeben. Hettys Talent hatte sich als durchschnittlich erwiesen, dennoch versetzte sie der Geruch in eine sorglose Zeit zurück, und ihr Herz wurde leichter.
    In der dritten Etage angekommen, sah sie eine der beiden Türen halb offen stehen, auf einem Schild daneben las sie wieder Damenatelier . Sie schnupperte, und da war nicht nur dieser Geruch nach den Aromen der Farben, des Terpentins, des Leinöls, nach Wachs und Schellack für die Firnisse, auch nach – Kaffee. Es roch eindeutig auch nach Kaffee. Ein gutes Zeichen. Wo zwischendurch Kaffee getrunken wurde, konnte es nicht ganz streng zugehen.
    Rasche, trotzdem mühevoll klingende Schritte folgten ihnen die Treppe herauf. Eine überaus rundliche Dame mittleren Alters erreichte mit gerötetem Gesicht und nach Luft ringend den Flur vor der Tür des Ateliers.
    «Himmel, Christine», keuchte sie mit gequälter Stimme unter einem ausladenden nachtblauen Hut voller Vergissmeinnicht, weißer Rosen, Spiräenrispen und zweier zierlicher quittegelber Vögelchen hervor. «Trainierst du für diese albernen Olympischen Spiele im nächsten Jahr?»
    «Keine Chance, Fanny», entgegnete Christine von Edding-Thorau munter. «Oder hat das in der Tat alberne Komitee die Revolution ausgerufen und will auch minderwertige Kreaturen wie Frauen zulassen?»
    «Ich habe so etwas gehört, ja.» Fanny hielt sich immer noch schwer atmend die Seite. «Wir können uns auch wie Damen benehmen», sagte sie und nickte Hetty zu. «Ich habe Sie nicht gleich gesehen. Sind Sie die Neue? Fräulein Röver hat Sie erst für den September angekündigt. Ach, egal, ich bin Fanny Schröder, und das», sie wandte sich Hettys leichtfüßiger Begleiterin zu, «das ist Christine von Edding-Thorau. Aber Sie kennen sich wohl schon?»
    «Von Edding reicht», bestimmte die. «Und auch wenn wir uns irgendwann besser kennen sollten, keinesfalls Eddy. Damit verscherzen Sie sich die geringste Chance auf meine Sympathie. So lässt sich mein jüngster Bruder nennen, und ich kann weder ihn noch diesen albernen Namen ausstehen. Zum Glück ist er weit weg. Schau mal, Fanny, ich habe sie amüsiert. Das ist gut», wandte sie sich wieder an Hetty, «wer Trauer trägt, braucht ab und zu amüsante Unterhaltung.»
    «Sei nicht geschmacklos, Christine. Sie müssen ihr verzeihen, sie stammt von einem livländischen Rittergut irgendwo hinter Riga, also von jenseits der Grenze der Zivilisation. Wie dürfen wir Sie ansprechen?»
    Christine von Edding schien die so ungerechtfertigte wie beleidigende Behauptung über ihre Heimat nicht zu stören. Auch sie blickte Hetty nur fragend an.
    Die Versuchung, einen falschen Namen zu nennen, währte nur Sekunden. «Ich bin Henrietta Winfield», sagte sie und ertappte sich bei einem Gefühl der Enttäuschung, als keine der beiden darauf mit Erkennen reagierte. Wie dumm. Es wäre ein wirklich absurder Zufall, jemanden zu treffen, der Thomas gekannt hatte und das Rätsel mit der Karte löste, noch bevor sie das Atelier zum ersten Mal betreten hatte. Andererseits – wenn Christine von Edding eine Freundin von Felix war, würde er sicher erwähnt haben, was

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