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Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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So lebendig.
    Plötzlich wollte sie unbedingt Tag für Tag mit einer Zeichenmappe unter dem Arm die Treppe hinauflaufen, ihre Skizzen mit den anderen Damen besprechen, die Aquarellfarben auswählen, Öl erst viel später, wenn sie mehr gelernt hatte, und dann nach den Skizzen in leuchtenden Farben Bilder malen. Das war wie Musik. Wie Zuversicht.
    An den Wänden des Empfangszimmers hingen Bilder, die sicher hier entstanden waren. Ihr Herz begann heftiger zu klopfen. Diese lichten, flirrenden Farben. Landschaften, Natur, Bauernhäuser gar, Bäche mit Alleen, einfache Wiesen mit Kühen. Alltägliche Motive und Farben wie auf den meisten im Bilderzimmer in Nienstedten.
    Freilichtklecksereien, hätten andere zweifellos geurteilt, ohne Disziplin, ohne gerade Linien, Wahrhaftigkeit, erkennbare Strukturen. Diese waren – freier. Mutiger. So wollte sie selbst sein.
    Eines der Bilder zeigte den Elbstrand, und die kleinen Kleckse oder Pinselstriche am Wassersaum, ganz leicht und fein und verwischt wie ein Wind oder ein Traumbild, das waren Kinder am Strand. Steine und Muscheln in den Händen? Eine Angelrute. Vielleicht eine Taftschleife.
    Kinder am Elbufer. Wie lange war das her? Zehn Jahre. Länger. Zwölf, vielleicht vierzehn Jahre.
    Tränen füllten ihre Augen – das war absurd. Nur weil sie ein Bild von Kindern an der Elbe sah.
    «Aha. Sie schauen sich unsere Bilder an.» Valeska Röver war zurückgekommen. «Setzen Sie sich, meine Liebe.» Ihre Stimme klang sanft, Hetty spürte eine Hand auf ihrer Schulter, die sie leicht, aber bestimmt zu dem Korbsessel führte, der mit einem auf japanische Art gemusterten Überwurf bedeckt war. «Setzen Sie sich.» Fräulein Röver sah sie aufmerksam an. «Das Bild ist nur eine recht gelungene Anfängerarbeit, aber ich sehe, es hat sie berührt.»
    «Ja», Hetty tupfte sich die Augen mit einem dieser unnützen Taschentüchlein. «Wie töricht.»
    «Gar nicht.» Fräulein Röver lächelte verschmitzt, die Linien um ihre Augen wurden zu fröhlichen Falten. «Wer sich von Bildern berühren lässt, ist nicht töricht, sondern mit seiner Seele wach verbunden. Und den Seelen anderer. Ja, lächeln Sie nur, das klingt romantisch, nicht wahr? Das ist es nur bedingt, denn es ist anstrengend. Trotzdem ziehe ich es dem Gegenteil vor. Ich finde, es gibt in dieser Hinsicht nur ganz oder gar nicht. Wer diese Offenheit hat, ist verletzlicher, jedoch bei aller Last, die das bedeuten kann, weniger einsam als andere Menschen. Selbst wenn er allein ist. Wie mag es Ihnen erst ergehen, wenn Sie nach Paris kommen – oder wenn Sie einen Liebermann sehen. Einen Munch, dieser junge Norweger. Sie kennen ihn gewiss nicht, eine gequälte Seele, er wird bald ein großer Künstler sein, ein Meister. Wenn Sie es sich leisten können, reisen Sie nach Paris. München, Düsseldorf, Berlin, alles schön und gut, aber Paris! Allen meinen Schülerinnen lege ich ans Herz, Unterricht bei einem der Meister in Paris zu nehmen. Ich werde selbst wieder dorthin gehen, wenn ich auch nie», ein abgrundtiefer Seufzer ließ ihre Schultern rund und ihr Gesicht klein werden, «wirklich niemals eine der Großen sein werde. Im nächsten Leben vielleicht, wer weiß? Ich halte neuerdings viel von der Idee der Wiedergeburt. Ein schöner Gedanke. Wenn es einen nicht gerade als Wurm erwischt, das wäre natürlich fatal.» Sie lachte glucksend, rief sich sichtbar zur Ordnung, dann setzte sie sich Hetty gegenüber und machte ein geschäftsmäßiges Gesicht. «Nun haben Sie mich zu einem Vortrag animiert. Was können wir sonst für Sie tun? Oder mit Ihnen?»

    Als Hetty wieder die Treppe hinunterlief und auf die Straße hinaus ins Sonnenlicht trat, fühlte sie sich trotz allem, was geschehen war, beschwingt. Als habe das eine Leben mit dem anderen nichts zu tun. Vielleicht wurde sie verrückt. Man hörte davon, dass ein großer Verlust, ein furchtbarer seelischer Schmerz verrückt machen konnte. Es schien aber ganz und gar nicht verrückt. Zum ersten Mal, seit sie Schule und Pensionat verlassen hatte, hatte sie eine Aufgabe, einen Plan, eine Pflicht über das hinaus, was ein kleiner Haushalt erforderte, dessen Arbeiten ohnedies von Köchin oder Dienstmädchen verrichtet wurden.
    An zwei Tagen in der Woche konnte sie nun Unterricht nehmen – immer pünktlich, bitte! Zunächst bis zum Beginn des neuen Studienjahres im Oktober, dann würde man weitersehen. Die Anfängerinnen unterrichtete Fräulein Röver selbst, auch wer in der Schule oder bei

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