Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Ein Garten mit Elbblick (German Edition)

Titel: Ein Garten mit Elbblick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
dich. Sonst weiß es gleich die ganze Straße.»
    «Ach was.» Weibert stützte sich mit beiden Fäusten auf und beugte sich über den halben Tresen. Mine wich zurück. Obwohl es hieß, er habe erst kürzlich gebadet, roch Weibert übel. «Ich sag es dir, Mine. Ich hab da doch neulich die goldene Uhr von dem abgestochenen Engländer gefunden, das kann jeder hören, das weiß nämlich jeder, und jetzt is’ sie weg! Die Schupos und die Kriminalen haben sie mir weggenommen, obwohl einem doch gehört, was man findet, wenn es sonst keinem gehört, und der Engländer ist tot, dem kann nichts mehr gehören, oder? Die haben die Uhr einfach behalten, das schwör ich dir. Amtsdiebstahl. Aber ich hol mir mein Geld, da, wo die Uhr herkommt. Das weiß ich nämlich. Wo die herkommt. Einer, der tot ist, verliert keine Uhr auf der Straße einfach so, kann mir keiner erzählen. Das tut nur einer, der lebt. Wenn du schlau bist, Mine, gibst du mir mein Bier und ’ne Frikadelle. Nur ’ne winzig kleine. Weil ich nämlich bald gut bezahle. Alles. Das von letzter Woche und von dieser Woche und nächster.»
    «Ich versteh kein Wort.» Die Wirtin stellte den letzten polierten Krug in die Vitrine hinter dem Tresen und schloss die Tür. Sie rückte das große Glas mit den Soleiern zurecht, schnippte ein paar Tabakkrümel weg und machte ein strenges Gesicht. «Ich denke, du erzählst richtig dummes Zeug. Und ich will dir mal was sagen: Wenn ich schlau bin, gebe ich dir keinen Tropfen mehr. Dann bin ich schlau. Und wenn du schlau bist, du alter Quatschkopp, erzählst du nicht länger solche Sachen. Könnte sein, dass es doch mal einer kapiert, deine Prahlerei, und dass der dann der Falsche ist. Oder der Richtige, was weiß ich.»
    Weibert ließ sich auf seinen Hocker zurückfallen und den Kopf auf seine Arme sinken. «Mensch, Mine», brummelte er, «was hast du für ’n hartes Herz. Christlich ist das nicht.»
    Einer der beiden Männer am hinteren Tisch, den das durch die kleinen staubigen Fenster ins Souterrain fallende Licht kaum mehr erreichte, war anderer Meinung. Er hielt die Wirtin für ungemein vernünftig. Und vorausschauend.
    * * *
    Valeska Rövers Damenmalschule war nicht das einzige Institut dieser Art in Hamburg. Die staatlichen Kunstakademien, wie es sie unter anderem in Düsseldorf, Berlin oder München gab, waren Männern vorbehalten, im fernen Rom, hieß es, nehme man auch Damen auf, die in Kassel, Stuttgart oder Frankfurt machten seltene Ausnahmen. Das war jedoch wenig bekannt und verlangte Bewerberinnen ein dickes Fell ab, was sich nur schwer mit der Künstlerseele verträgt.
    Frauen – Damen – waren im Deutschen Reich also auf privaten Unterricht angewiesen und damit auf einen in der Regel erheblich schlichteren Lehrplan bei sehr, sehr viel höheren Kosten. Fräulein Röver wollte mehr. Für sie waren die Malerei und andere Techniken wie das graphische Drucken oder das Keramiken mehr als Zeitvertreib und Liebhaberei, ihre Schule wollte professionelle Künstlerinnen ausbilden. Hier wurde nach ungewöhnlich modernen Methoden gelehrt, nun auch von jungen Kunstmalern, die sich zur Avantgarde zählten.
    Junge Damen wie Henrietta zählte Fräulein Röver nicht zu ihren liebsten Schülerinnen, denen sah man schon beim Eintritt an der Nasenspitze an, dass die Kunst ihnen stets nur Liebhaberei sein werde. Andererseits wusste man so etwas nie genau. Auch von den beiden Damen Cramer in Harvestehude hatte anfänglich gewiss niemand gedacht, dass sie mit ihren impressionistischen Stillleben einmal zu den verschwindend wenigen Frauen gehören könnten, die regelmäßig bei großen Ausstellungen in Berlin, München, sogar in Chicago vertreten waren. Im Übrigen waren Kunst und Lehre hehre Ziele, aber nicht umsonst zu haben. Profane Kosten für Miete und Heizung, die Honorare für die Modelle und Lehrer mussten schließlich auch bestritten werden.
    Hetty fühlte sich auf ungewohnte Weise angespannt, als sie im Entree stand und wie gebeten wartete. Hinter der Tür, durch die die beiden Schülerinnen und ihre Lehrerin verschwunden waren, musste sich das Atelier verstecken.
    Sie war aufgeregt wie vor einer Prüfung, was wirklich albern war, sie wollte nur herausfinden, was diese Schule mit Thomas zu tun hatte oder was Thomas mit dieser Schule zu tun gehabt haben mochte. Wahrscheinlich nichts. Aber jetzt wollte sie nicht mehr gehen, sie wollte bleiben. Nicht nur eine Stunde. Hier war eine ganz eigene Atmosphäre, alles war ungewöhnlich.

Weitere Kostenlose Bücher