Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
kenne ich ihn nicht selbst, ich bedauere das wirklich. Aber ich weiß, dass er auf unserer Ausstellung war und einige Bilder gekauft hat. Er scheint überhaupt an dieser Malerei interessiert. Soviel ich weiß, hat er auch einen Siebelist und einen Eitner erstanden. Landschaftsbilder. Ich glaube, sogar eines der Kuhwiesenbilder von Thomas Herbst. Was bemerkenswert ist, weil Herbst ein Künstler ist, der sich eher versteckt als hervortut. Sehr ungeschickt. Ihr Herr Vater gehört zu den wenigen in dieser Stadt, die wahre Kunst erkennen, anstatt Schmiererei und Skandal zu schreien und ihre Zimmerfluchten mit drittklassigen Historienoperetten zu schmücken. Nun wundert mich nicht, dass diese Bilder hier Sie erreicht haben, es liegt in Ihrem Blut. Grüßen Sie Ihren Herrn Vater von mir, sagen Sie ihm, er sei jederzeit willkommen.»
Hetty schluckte. «Mein Vater ist im vergangenen Monat gestorben», sagte sie, «deshalb bin ich überhaupt nach Hamburg zurückgekommen.»
«Ach, du meine Güte, ich lasse keinen Fettnapf aus. Auch gut, dann sind wir quitt, irgendwie. Wir fangen neu an, wenn Sie zum ersten Unterricht kommen.»
Sentimentalität konnte man Fräulein Röver nicht nachsagen.
* * *
«Die Rolle der armen Verwandten ist noch nicht besetzt. So eine gehört in jede Familie, nur wir haben keine.»
«Du bist unmöglich, Emma.» Claire lachte trotzdem. «Die Rolle der armen Verwandten … Hetty ist so jung, da muss sich doch eine andere Möglichkeit finden. Eine mit ein wenig mehr Perspektive.»
«Ja, du hast recht.» Emma hatte ihre Tasse aus dem Samowar auf der Anrichte mit hellem dampfendem Tee gefüllt und fünf Tropfen Sahne dazugegeben. Sie nahm wieder in einem der großen, mit dunkel gestreiftem Chintz bezogenen Sessel Platz. «Wenn ich mir vorstelle, sie ist jünger als ich und schon Witwe. Wirklich erstaunlich. Ich finde aber, sie sieht älter aus. Und sie benimmt sich auch so.»
«Du könntest von ihr lernen», warf Lydia Grootmann mit einem ihrer seltenen nachsichtigen Lächeln ein.
«Gott bewahre! Verzeih, Claire, ich soll ja den Namen des Herrn nicht unnütz mit meinem respektlosen Mundwerk führen.»
Claire schwieg, und Lydia sagte: «Wolltest du nicht längst ausreiten, Emma? Wir wollen dich nicht aufhalten.»
«Ach ja, das war geplant. Nun gefällt mir eure Gesellschaft besser als so ein schnaubendes Ross. Und dieses Orangengebäck», sie griff mit spitzen Fingern einen glasierten Keks aus der Silberschale und betrachtete ihn angelegentlich, «das ist auch ein überzeugendes Argument zu bleiben. Viel besser als die Gurkensandwiches.»
Die Damen Grootmann – Lydia und ihre Töchter Emma und Claire – nahmen den Tee im Grünen Salon. Die großen Türen zur vorderen Terrasse, von der sich der Blick über den Uferfahrweg hinweg weit über den See bot, standen offen. Um den Tee draußen zu nehmen, war es heute zu windig, darin waren sie sich einig gewesen.
Ihr gemeinsames Thema hatte sich schnell ergeben: Henrietta und ihre Zukunftsaussichten. Friedrich Grootmann hatte beschlossen, innerhalb der Familie kein Geheimnis daraus zu machen. Immerhin bleibe Hetty Sophus’ Haus über dem Elbufer, der Garten mit dem herrlichen Elbblick steigere den Wert beachtlich. Sie sei eine tüchtige, nicht verwöhnte junge Frau, wobei er die Betonung ebenso auf ‹nicht verwöhnt› wie auf ‹jung› gelegt hatte. Ersteres wies darauf hin, dass auch ein bescheidenes Einkommen annehmbar sei, wie es als Reisebegleiterin oder Gesellschafterin wohlhabender alter Damen, als Gouvernante vielleicht, zu erzielen war. Die Betonung von jung ließ seine Hoffnung durchscheinen, Hetty möge bald einen zweiten Ehemann finden, diesmal einen tatsächlich gutsituierten, der sich nicht auch noch ermorden ließ. Er hatte es nicht ausgesprochen, aber niemand bezweifelte, dass er zukünftig jeden Bewerber selbst aufs gründlichste prüfen werde.
«Eine zweite Heirat wäre so schön», fand Claire, «sie ist ein liebes Ding, recht hübsch und jung genug, viele Kinder zu bekommen. Sie neigt auch nicht zur Kränklichkeit, nicht wahr, Mama?»
Lydia war mit ihren Gedanken offensichtlich weit fort.
«Mutter?» Claires Stimme klang besorgt.
«Bitte? Oh, du fragst, ob Hetty je krank war. Nein, nicht ernsthaft.»
«Als Gouvernante hat sie heutzutage ganz schlechte Karten», gab Claire zu bedenken. «Da gibt es inzwischen ein enormes Überangebot. Selbst in den entlegensten Gebieten Russlands wie Bessarabien sollen alle Stellen vergeben
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